Politik

Die Opposition in Belarus - fremd im System [ Volltext ]
Gedanken zu den föderativen Sujets von Präsident Putin [ Abstract ]
Was kostet der Sitz eines Senators? [ Abstract ]
Paradoxe der russischen Gouverneurswahlen [ Abstract ]
Die Einfuhr von Atomabfällen ist ein gefährliches Abenteuer [ Volltext ]
Wo wird die Welt ihren Atommüll lagern? [ Abstract ]

aus WOSTOK SPEZIAL: Kasachstan - Staat im Zentrum Eurasiens
 
Hoffen auf größeres Engagement seitens der EU und Deutschlands [ Abstract ]
In fast allen Fragen stimmt man überein - die Beziehungen zu Rußland [ Abstract ]
Kasachstans Platz in regionalen Strukturen und Organisationen [ Abstract ]
Kasachstan und seine zentralasiatischen Nachbarn [ Abstract ]
Kasachstan und die moslemische Welt [ Abstract ]
Betrachtung der politischen Parteienlandschaft [ Abstract ]
Astana die neue, Almaty die südliche Hauptstadt [ Abstract ]
Gedanken zu Astana - ein Hauch von Hauptstadt [ Abstract ]
Das multikonfessionelle Kasachstan braucht einen weltlichen Staat [ Abstract ]

Die Opposition in Belarus - fremd im System
von
Nikolai Statkewitsch, Vorsitzender der Belarussischen Sozialdemokratischen Partei, Minsk


Erstmals in einem der neuen unabhängigen Staaten wurde vor einer Wahl eine breite einheitliche Oppositionskoalition gebildet, die gegen die herrschende Macht antrat. Ein breites Spektrum von Parteien und politischen Bewegungen unterstützte in Belarus bei der Präsidentschaftswahl den gemeinsamen Kandidaten Wladimir Gontscharik. Dieser ist parteilos, wird von einer starken eigenen Struktur, den Gewerkschaften, und von anderen Parteien und Bewegungen unterstützt, ist der Nomenklatura nicht unbekannt und für Rußland akzeptabel. Der Wahlsieger hieß am Ende doch wieder Alexander Lukaschenko. Die Opposition beschuldigt das Regime, die Wahl gefälscht zu haben. Nach allgemeiner Einschätzung hätte Lukaschenko die Wahl allerdings auch ohne Fälschung gewonnen, wenn auch nicht mit über 75 Prozent der Stimmen. Die Opposition muß sich nun Gedanken über ihren Weg zur Macht und über ihre Rolle im System machen.

Am 9. September wurde in Belarus ein neuer Präsident gewählt. Laut den amtlichen Angaben erhielt Präsident Lukaschenko mehr als 75 Prozent der Wählerstimmen und sein stärkster Konkurrent - der gemeinsame Kandidat der breiten Koalition Wladimir Gontscharik - über fünfzehn Prozent. Sergej Gaidukewitsch, Vorsitzender der Liberaldemokratischen Partei - der belarussischen Version der russischen Schirinowski-Partei - mußte sich mit einigen wenigen Prozenten begnügen. Die Wahlergebnisse waren ein wirklicher Schock. An die Echtheit der Ergebnisse glaubt die Mehrheit die Belarussen nicht. Die OSZE hat die Wahl nicht als demokratisch anerkannt. In vielen Teilen der Gesellschaft wird nun gefragt: War dieses Ergebnis vorbestimmt, oder wäre es zu vermeiden gewesen? Hat die Opposition die richtige Strategie gewählt? Hat sie wirklich alle Möglichkeiten wahrgenommen? Die demokratischen Kräfte dürfen diesen Fragen nicht ausweichen und müssen darauf Antworten geben.

Die Strategie der Opposition

Die belarussische Opposition hatte sich für die effizienteste der möglichen Vorgehensweisen entschieden: Sie hatte sich vereinigt. Mit Rücksicht auf die schwachen und nur wenig bekannten, von der Macht zudem ausgegrenzten politischen Parteien war die Vereinigung aller vorhandenen Kräfte ganz natürlich. Die Vereinigung der Parteien mit ihren unterschiedlichen und in Teilen rivalisierenden Ideologien bedeutete jedoch nicht unbedingt, daß auch ihre Anhänger geeint wurden. Man brauchte eine Person, die für die gesamte Protestwählerschaft - "von den Kommunisten bis hin zu den Nationalisten" - wählbar wäre. Dieser Kandidat mußte einige Kriterien erfüllen: er mußte parteilos sein, durfte also nicht mit einer bestimmten Ideologie verbunden werden. Da die Wahlen in den Regionen vollkommen von der örtlichen Nomenklatura kontrolliert werden, mußte der Kandidat der vereinigten Opposition ein "Mann" der Nomenklatura sein. Da Rußland die belarussische Politik maßgeblich beeinflußt, mußte der Kandidat der Opposition zudem für die russische Führung akzeptabel sein. Die Anforderungen an den gemeinsamen oppositionellen Kandidaten waren somit formuliert: Ein unabhängiger, für die Nomenklatura akzeptabler Kandidat, der sich loyal gegenüber Rußland verhält und die Rückkehr der Republik hin zur Demokratie garantiert.

Die Wahl der Taktik

Gleich vier Politiker meldeten sich als mögliche Anwärter für die Rolle des gemeinsamen Kandidaten der Opposition. Es waren der Vorsitzende des belarussischen Gewerkschaftsbundes Wladimir Gontscharik, der ehemalige Leiter des Gebiets Grodno Semjon Domasch, der ehemalige Verteidigungsminister Pawel Koslowski und der ehemalige Ministerpräsident Michail Tschigir. Die Opposition hatte sich darauf verständigt, nur einen einzigen Kandidaten zu nominieren. Mit diesem Problem befaßte sich fast sechs Monate lang das Bündnis der rechten Parteien und Organisationen, der Koordinationsrat der demokratischen Kräfte - allerdings erfolglos. Im Vorfeld der Wahlkampagne überwog die Haltung, daß der gemeinsame Kandidat erst dann bestimmt werden sollte, wenn alle Kandidaten offiziell registriert waren. Die Befürworter dieses Vorgehens argumentierten wie folgt: Jeder Anwärter muß mindestens 100000 Unterstützerunterschriften sammeln, um überhaupt registriert zu werden. Die Kandidaten und ihre Mannschaften sollten also ihre Leistungsfähigkeit zeigen. Zudem würden die gesammelten Unterschriften von den von den Behörden zusammengesetzten Wahlkommissionen nach achtzehn Kriterien analysiert. Die Opposition hatte es nicht geschafft, auch nur einen ihrer Vertreter in die Kommissionen zu entsenden. Aber noch etwas war klar: Je mehr Anwärter es für die Registrierung gab, desto höher waren die Chancen, daß wenigstens einer von ihnen tatsächlich registriert würde. Und je mehr Wahlkampfmannschaften Unterschriften für ihren Kandidaten sammeln würden, desto mehr wahlberechtigte Bürger würden erfahren, daß es eine Alternative zur gegenwärtigen Macht gibt.

Registrierung der Kandidaten

21 Anwärter - Alexander Lukaschenko nicht eingeschlossen - ließen ihre Initiativgruppen, das heißt Menschen registrieren, die berechtigt waren, Unterschriften für die Präsidentschaftskandidatur zu sammeln. Die meisten dieser Gruppen waren natürlich viel zu klein und hatten keine Chancen, die notwendigen 100.000 Unterschriften zu sammeln. Aber diese Gruppen besuchten Millionen Wähler und sammelten unter den insgesamt 7,3 Millionen Wahlberechtigten mehr als 1,3 Millionen Unterschriften. Die Unterschriftensammlung war eine starke mobilisierende Kampagne, aber seitens der Opposition leider die einzige effizient durchgeführte Phase des Wahlkampfes.

Mehr als 100.000 Unterschriften wurden nur von vier Kandidaten eingereicht: Lukaschenko sammelte mehr als 400.000 Unterschriften, Gontscharik etwa 200.000, Domasch mehr als 160.000 und Gaidukewitsch über 130.000 Unterschriften. Die Gontscharik-Mannschaft berücksichtigte, daß ein Kandidat auch aufgrund einer bestimmten "Quote" von fehlerhaften Unterschriften von der Wahl ausgeschlossen werden konnte, und legte aus diesem Grunde nur 120.000 geprüfte Unterschriften zur Registrierung vor. Andere Anwärter hingegen reichten praktisch alle gesammelten Unterschriften ein.

Alexander Lukaschenko geht nach den offiziellen Ergebnissen als Wahlsieger aus der Wahl am 9. September hervor...
 
Klar ist, daß nur diejenigen alternativen Anwärter die benötigten Unterschriften sammeln konnten, die von Parteien unterstützt wurden. Für Domasch arbeiteten die Belarussische Volksfront und die Vereinigte Bürgerpartei. Den Kern des Teams von Gontscharik bildeten die Mitglieder der Belarussischen Sozialdemokratischen Partei, wobei anzumerken ist, daß etwa ein Drittel aller Aktivisten der Sozialdemokraten gemäß der Taktik der Partei in den Mannschaften anderer unabhängiger Kandidaten mitarbeitete. Allgemein stellte sich die Situation für die Opposition also günstig dar, nachdem zuvor befürchtet worden war, daß die Macht die schwächsten Kandidaten registrieren würde, wenn sich viele Kandidaten registrieren lassen. Die regimehörige Zentrale Wahlkommission konnte es sich aber nicht leisten, sowohl Gontscharik als auch Domasch die Registrierung zu verweigern. In diesem Fall hätten selbst die eifrigsten und überzeugtesten Anhänger Lukaschenkos die Wahlen als unfair betrachtet. Wäre hingegen nur einer von ihnen registriert worden, hätte dies bedeutet, daß die Macht - stellvertretend für die Opposition - den gemeinsamen Kandidaten bestimmt hätte. So beschloß die Zentrale Wahlkommission, die vier Kandidaten, die die benötigten Unterschriften eingereicht hatten, zu registrieren.

Die Zahl der offiziell registrierten Initiativgruppen und die Zahl der gesammelten Unterschriften haben die realen Möglichkeiten und das Potential der belarussischen Parteien verdeutlicht. Es zeigte sich, daß die realen Kräfte der belarussischen Opposition links von der Mitte konzentriert sind. Vor diesem Hintergrund wurde das linkszentristische Bündnis "Für soziale Wandlungen" gebildet, der die Parteien, Gewerkschaften und gesellschaftlichen Organisationen sozialdemokratischer Orientierung beigetreten sind.

Verständigung auf den gemeinsamen Kandidaten

Noch während der Unterschriftensammlung unterzeichneten die vier unabhängigen Kandidaten und der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Sergej Kaljakin ein Abkommen darüber, sich untereinander und eigenständig auf einen gemeinsamen Kandidaten zu einigen. Unter dem Druck der Opposition wurde dieses Abkommen am 21. Juli realisiert. Die "Fünf" nominierten Gontscharik als Kandidaten. Vor der Registrierung am 14. August wurde dann ein Abkommen unterzeichnet, mit dem eine breite bürgerliche Koalition gebildet wurde. Diese Koalition setzte sich aus sieben Kandidaten und neun diese Kandidaten unterstützenden Parteien zusammen. Domasch wurde im Falle eines Wahlsieges das Amt des Ministerpräsidenten garantiert. Dies war das erste Mal auf dem Gebiet der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, daß die Opposition bei einer Wahl als Einheitsfront auftrat. Bis zum Wahltag blieben jedoch nur noch dreieinhalb Wochen.

Agitationskampagne

Gontscharik war ein für Lukaschenko sehr unangenehmer Herausforderer. Er konnte nicht wie Semjon Domasch mit der auch in der Bevölkerung unpopulären Belarussischen Volksfront in Verbindung gebracht beziehungsweise als Agent des Westens dargestellt werden, der die Nomenklatura aus dem politischen Prozeß ausschalten will. Die staatlichen Medien - Fernsehen, Rundfunk und Zeitungen - übertrafen sich jedoch selbst. Sobald die Belarussen ihr Fernsehgerät einschalteten, sahen sie laufend Sendungen über die ständige Sorge Lukaschenkos um den Wohlstand der Bevölkerung und über die gemeine und käufliche Opposition, die das Land ins Chaos stürzen will. Was aber hatte der Stab des gemeinsamen Kandidaten dieser Kampagne entgegengesetzt? Er arbeitete leider ineffizient. Die aufwendigen, sich allerdings nicht an konkrete Adressaten wendenden Kampagnen, die die rechten Organisationen nach ähnlichem Muster wie in anderen Ländern durchführten, berücksichtigten die örtlichen Realitäten nicht. Was wir erlebten, war keine Wiederholung der analogen jugoslawischen oder slowakischen Kampagnen, sondern nur deren Imitation. Die verschwundenen Politiker, auf die die Berater des vereinigten Wahlkampfstabes setzten, bewegten real nur eine Minderheit der Gesellschaft. Nach der Vereinigung hatte sich der Wahlkampfstab von Wladimir Gontscharik zahlenmäßig verfünffacht. In gleichem Maße verminderte sich jedoch auch seine Effizienz. Der Beginn der Agitationskampagne des Oppositionskandidaten wurde um zwei Wochen hinausgezögert. Und als die Kampagne dann letztendlich angelaufen war, schaltete das Regime auf den Repressionsmechanismus um - dies reichte von der Beschlagnahmung unabhängiger Zeitungen, den Übergriffen der Miliz auf die regionalen Büros des gemeinsamen Kandidaten, der Verhaftung von Wahlkämpfern und Beschlagnahmung von Zeitungen und Flugblättern bis hin zu Einschüchterungen der Aktivisten. Ungeachtet der offenbaren Fehlschläge der Opposition und des Schmutzes, mit dem der gemeinsame Kandidat beworfen wurde, war jedoch das Protestpotential so groß, daß die Zustimmung zu Gontscharik am Ende des Wahlkampfes bei über vierzig Prozent lag. Das Rating von Lukaschenko war zweifellos höher, lag jedoch nicht über fünfzig Prozent.

Die Abstimmung

Nach einem sehr aggressiven, schmutzigen und unfairen Wahlkampf hätte sich Lukaschenko eine ehrliche Stimmenauszählung leisten können, da er gute Erfolgschancen hatte. Er ließ dies jedoch nicht zu.

...Sein stärkster Konkurrent Wladimir Gontscharik konnte danach nur etwas mehr als fünfzehn Prozent auf sich vereinen
 
Entsprechend der belarussischen Gesetzgebung dürfen die Wähler über einen Zeitraum von sechs Tagen abstimmen. Das bedeutet aber, daß die Wahlurnen fünf Nächte lang den örtlichen Beamten unkontrolliert zur Verfügung standen, womit sie täglich den Wahlprozeß korrigieren konnten. Die Macht nahm diese Möglichkeit wahr, um das benötigte Wahlergebnis zu sichern. Die Menschen wurden allerorts veranlaßt, bereits vor dem 9. September die Stimme abzugeben. Erpressungen, Einschüchterungen und Kündigungsdrohungen führten dazu, daß nach amtlichen Angaben vierzehn Prozent und laut den unabhängigen Beobachtern zwanzig Prozent der Wähler ihre Stimme vor dem Wahltag abgaben. Hartem Druck waren vor allem die Studierenden ausgesetzt. Am 9. September wurden bei der Stimmenauszählung die vorfristig abgegebenen Stimmen nicht separat ausgezählt - wie eigentlich in der Wahlgesetzgebung vorgeschrieben ist -, sondern zum allgemeinen Haufen hinzugefügt. In den wenigen Fällen, in denen die Beobachter eine getrennte Stimmenauszählung durchsetzen konnten, stellte sich heraus, daß neunzig bis 99 Prozent der Stimmzettel zugunsten Lukaschenkos abgegeben worden waren.

In den Wahllokalen wurde am 9. September die Stimmabgabe praktisch ideal organisiert. Gleichzeitig aber wurde die Stimmabgabe mit tragbaren Urnen direkt bei den Wählern durchgeführt. Auf dem Land verlief dieser Prozeß ohne Beobachter und nur in Anwesenheit der örtlichen Kommissionsvorsitzenden - massenweise wurden so Stimmen "abgeholt".

Besonders bemerkenswert war jedoch die Stimmenauszählung selbst. In der Gesetzgebung ist das Recht der Beobachter, die Stimmenauszählung direkt zu kontrollieren, nicht festgeschrieben worden. Die Leiter der Wahlkommissionen gestatteten den Beobachtern in der Regel nicht einmal, nahe an den Tisch zu kommen, auf dem die Wahlzettel ausgezählt wurden. Die Auszählungsergebnisse wurden nicht bekanntgegeben. Die offiziellen Ergebnisse wurden den Beobachtern erst Stunden nach der Auszählung mitgeteilt. So gab es keine reale Stimmenauszählung, es gab nur eine Imitation der Stimmenauszählung, bei der jedes - vorgegebene und erwünschte - Ergebnis erzielt werden konnte.

Die Wahlbeobachter

Das unabhängige System der Wahlbeobachtung war primär nicht auf die Verhinderung von Verstößen, sondern auf deren Feststellung ausgerichtet. Personelle Basis der unabhängigen Beobachtung waren wieder die wichtigsten Oppositionsparteien. Die Leiter des Beobachtungssystems forderten bei den Parteien unabhängige Beobachter an und wiesen diesen dann aber die Rolle "unabhängiger" Statisten zu. In den wenigen Fällen, da die Beobachter Unnachgiebigkeit zeigten und ungeachtet einer angedrohten Verhaftung eine öffentliche Stimmenauszählung durchsetzten, fielen die Wahlergebnisse anders aus.

Einen Tag vor der Wahl strichen die Machtorgane ein Viertel der Beobachter aus den Registrierungslisten. Damit wurden in das ohnehin lückenhafte Beobachtungssystem neue Breschen geschlagen. Der Versuch, die Stimmen parallel auszuzählen, ist gescheitert. Die Initiatoren dieser Idee ließen aufgrund von Drohungen davon ab, die Wähler unmittelbar nach dem Gang zur Wahlurne zu befragen. Eine parallele Berechnung aufgrund der amtlichen Angaben der Wahlabschnittskommissionen, die wie oben beschrieben erlangt wurden, hatte schon gar keinen Sinn. Niemand kennt heute in Belarus die realen Wahlergebnisse.

Ursachen des Scheiterns

Die belarussische Opposition ist seit 1996 systemfremd. Dies bedeutet, daß sie sich außerhalb aller Machtbereiche befindet. Daher kämpfte der Oppositionskandidat nicht gegen Lukaschenko, sondern gegen die gesamte Staatsmaschinerie. Das Parlament verabschiedete raffinierte, aber undemokratische Gesetze. Die regionalen Behörden entsandten Vertrauensleute in die Wahlkommissionen. Der Geheimdienst spionierte und verfolgte die Handlungen und Pläne des Wahlkampfstabes des Oppositionskandidaten. Das staatliche Fernsehen und der Rundfunk waren bestrebt, Gontscharik in Mißkredit zu bringen. Die Miliz verhaftete Wahlkämpfer und beschlagnahmte Wahlkampfmaterial.

Ein Eingreifen seitens Rußlands hätte diese Maschinerie zerstören können. Die russische Führung unterstützte jedoch die herrschende Macht. Die belarussische Nomenklatura wiederum hat ihre fehlende Solidarität mit Gontscharik und den Leitern seiner Wahlkampagne gezeigt. Fazit: Es gibt keine Chancen auf den Sieg bei der Präsidentschaftswahl, wenn wenigstens dreißig Prozent der Wahlberechtigten konsequent das Regime unterstützen und die Staatsmaschinerie bereit ist, gegen die Opposition zu arbeiten. Wenn wir also künftig wirklich eine Chance haben wollen, muß sich die Opposition an allen, auch bereits im vorhinein ungleichen Wahlkampagnen beteiligen, sie als Agitation für den alternativen Entwicklungsweg und zur Kritik an den Handlungen des Regimes nutzen. Wir müssen versuchen, bei den Wahlen auf niedrigerer Ebene zur Macht vorzustoßen. Wir müssen hart arbeiten, wir brauchen Zeit und Toleranz.
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Gedanken zu den föderativen Sujets von Präsident Putin

von
Sergej Starikow, Leiter der Abteilung für Rechtsanalyse im Zentrum für politische Informationen "Expert-JUG", Rostow am Don


Im Föderationsrat sollen künftig nicht mehr die Führer der regionalen Exekutiven und Legislativen sitzen, sondern von ihnen entsandte Vertreter
 
Seit seinem Amtsantritt im Mai 2000 schenkt Präsident Putin der Reform des föderativen Aufbaus der Russischen Föderation Aufmerksamkeit. Bereits im letzten Jahr wurden die föderalen Distrikte gebildet, denen Bevollmächtigte des Präsidenten vorstehen. Der Föderationsrat setzt sich nicht mehr aus den Führern der Föderationssubjekte zusammen, sondern besteht aus von diesen entsandten Vertretern. Quasi zum Ausgleich wurde der Staatsrat eingerichtet, der real aber keine Befugnisse, geschweige denn Macht hat. Nun widmet man sich den Beziehungen zwischen Zentrale und Subjekten beziehungsweise den Subjekten untereinander. Noch ist nicht klar, ob alle diese Maßnahmen tatsächlich der Demokratisierung einen Impuls geben oder ob sich Rußland damit nicht stärker autoritär entwickelt.
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Was kostet der Sitz eines Senators?

von
Anna Kosyrewa, parlamentarische Korrespondentin der Zeitschrift "Wek", Moskau


Der Krasnojarsker Gouverneur Alexander Lebed kritisiert, daß Senatorensitze anscheinend gekauft werden
 
Im Sommer letzten Jahres hatte sich der russische Präsident Wladimir Putin mit seinen Vorschlägen zur zukünftigen Bildung des Föderationsrates durchgesetzt. Die Führer der regionalen Exekutiven und Legislativen sollten nicht mehr im Oberhaus des Parlaments vertreten sein, sondern von ihnen ernannte Vertreter. Neben einigen Altmitgliedern, also Gouverneuren, die sich den Verzicht auf eine erneute Kandidatur als Gouverneur mit dem Senatorensessel vergüten ließen, sind mittlerweile viele Neulinge, darunter viele Unternehmer, in die Obere Kammer eingezogen. So munkelt man auf den Gängen des Föderationsrates, daß ein Senatorensitz, der mit einer Reihe von Privilegien wie einer Wohnung im Zentrum Moskaus verbunden ist, 50.000 bis 100.000 Dollar kostet.
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Paradoxe der russischen Gouverneurswahlen

von
Galina Tschinarichina, Politologin am EPIzentr, Moskau


In den von Hochwasser betroffenen Rayons im Gebiet Irkutsk setzte sich Gouverneur Goworin durch
 
In diesem Sommer fanden in einigen russischen Föderationssubjekten Gouverneurswahlen statt. So wurde in den Gebiet Irkutsk und Nischni Nowgorod sowie in Primorje gewählt. Während sich in Irkutsk Amtsinhaber Boris Goworin mit einem knappen Vorsprung von zwei Prozent vor seinem kommunistischen Herausforderer gerade eben halten konnte, setzten sich in Nischni Nowgorod der Kommunist Gennadi Chodyrew und in Primorje der Geschäftsmann Sergej Darkin durch. Die Zentrale in Moskau hat ihre Ziele also nur in Teilen erreicht. Immerhin verhinderte sie einige Personen, die sie in keinem Fall als Gouverneure sehen wollte. Zwei Trends scheinen sich weiter zu verfestigen - nämlich daß ein großer Teil der Wahlberechtigten "Gegen alle" stimmt und daß die Wähler schmutziger Wahlkampfmethoden müde sind.
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Die Einfuhr von Atomabfällen ist ein gefährliches Abenteuer

Mit Grigori Jawlinski, dem Vorsitzenden von JABLoko, sprach die Politologin Galina Tschinarichina in Moskau

In diesem Sommer wurde in Rußland ein Paket von Gesetzen verabschiedet, die die Einfuhr von abgebrannten Kernbrennstoffen (AKB) erlauben. Die Erörterung und Verabschiedung dieser Gesetze ging mit einer lebhaften öffentlichen Diskussion einher. Der Föderationsrat erörterte diese Frage nicht, da er es nicht für notwendig erachtete, die Gesetze zu behandeln. Heute entbrennt die Diskussion wieder mit neuer Kraft: Die Partei JABLoko sammelt Unterschriften für die Durchführung eines Referendums gegen die Einfuhr der atomaren Abfallprodukte. Denn man sieht nicht nur, daß mannigfaltige Gefahren mit dem Transport und der Lagerung verbunden sind, sondern hat vor allem Angst, daß Rußland sich in einen "atomaren Müllplatz" verwandelt.

Frage: Herr Jawlinski, Sie sind heute vermutlich der härteste Gegner der Einfuhr von abgebrannten Kernbrennstoffen nach Rußland. Nachdem die Gesetze, die die Einfuhr erlauben, die Staatsduma passiert haben, haben Sie die Vorbereitung eines Referendums über diese Frage angekündigt. Wie weit sind die Vorbereitungen gediehen?

Der Vorsitzende von JABLoko Grigori Jawliknski ist einer der härtesten Gegner der Einfuhr von Atommüll nach Rußland
 
Jawlinski: JABLoko ist gegenwärtig in der Tat die einzige politische Partei, die offiziell gegen die Entscheidung der Staatsduma protestiert, abgebrannte Kernbrennstoffe nach Rußland einzuführen. Das ist unsere feste Position, und von dieser sind wir auch noch nie abgegangen. Die JABLoko-Fraktion ist zudem die einzige Fraktion, die in allen drei Lesungen geschlossen gegen die Gesetze, die die Einfuhr zulassen, gestimmt hat. Vor der Sitzung des Oberhauses des Parlaments forderten wir die Abgeordneten des Föderationsrates wie auch die Machtorgane der Föderationssubjekte auf, uns in dieser Frage zu unterstützen. Ich habe unseren Standpunkt mehrfach Präsident Putin dargelegt. Gegenwärtig bereiten wir uns auf ein allrussisches Referendum vor. Wir haben einen Vorbereitungsstab eingerichtet: In 37 Regionen haben JABLoko und seine Anhänger Kundgebungen gegen die Einfuhrgesetze durchgeführt. In 49 Regionen werden bereits Unterschriften gesammelt.

Frage: Wann, denken Sie, wird das Referendum durchgeführt, und wie groß sind die Erfolgschancen?

Jawlinski: Wir haben uns zum Ziel gesetzt, mehr als zwei Millionen Unterschriften zu sammeln und der Zentralen Wahlkommission gemeinsam mit dem Antrag für ein Referendum frühestens im Frühjahr 2002 vorzulegen. Dies ist ein ungemein arbeitsintensiver Prozeß. In den letzten acht Jahren haben wir bekanntlich fünfmal Unterschriften gesammelt und jeweils die notwendige Unterschriftenzahl deutlich überschritten. JABLoko versteht es, Unterschriften zu sammeln. Diesmal sammeln wir sie zudem noch mit unseren Verbündeten, also mit anderen demokratischen und ökologischen Organisationen. Mindestens achtzig Prozent der Bürger - dies ergeben Umfragen, in Wirklichkeit sind es jedoch sogar noch mehr - wenden sich kategorisch gegen die Einfuhr atomarer Abfallprodukte nach Rußland.

Der Präsident sagte einmal: "Wir und das Volk irren uns vermutlich". In diesem Fall irrt sich die Bevölkerung ganz sicherlich nicht. Die Meinung der Menschen muß unbedingt berücksichtigt werden.

Frage: Befürchten Sie nicht, daß sich die Erfahrung des nichtstattgefundenen Referendums, das seinerzeit die demokratischen Kräfte initiiert hatten, wiederholen könnte? Damals hatte die Zentrale Wahlkommission einen großen Teil der eingereichten Unterschriften für ungültig erklärt.

Jawlinski: Wir verstehen natürlich, daß die Vorbereitung massiv behindert und das Referendum sogar gestoppt werden könnten. Andererseits setzen wir auf ein objektives Vorgehen der Zentralen Wahlkommission bei der Prüfung der gesammelten Unterschriften und bei der Zusammenfassung der Ergebnisse des Referendums. Wir sind uns selbst sicher und wir zweifeln auch nicht an unseren Bürgern. Die laut Gesetz benötigten zwei Millionen Unterschriften werden wir sammeln. Wir werden vorschlagen, die Frage des Referendums so zu formulieren, daß sie der Verfassung der Russischen Föderation entspricht. Ich bin ganz sicher, daß wir die absolute Mehrheit der Stimmen bekommen. Ich möchte daran erinnern, daß in Rußland ein Referendum als gültig anerkannt wird, wenn sich mehr als fünfzig Prozent der wahlberechtigten Bürger daran beteiligt haben. Die Frage des Referendums gilt als angenommen, wenn sich mehr als fünfzig Prozent der am Referendum Beteiligten für sie ausgesprochen haben.

Frage: Ist es denn vorstellbar, daß JABLoko die Initiative des Referendums fallenläßt beziehungsweise nicht weiter verfolgt? Wenn beispielsweise die von Präsident Putin gebildete Kommission irgendwelche schicksalsträchtigen Entscheidungen trifft?

In 37 Regionen Rußlands wurden Protestveranstaltungen organisiert und in 49 Regionen werden Unterschriften gegen die Atomgesetze gesammelt
 
Jawlinski: Der Präsident hat zeitgleich mit der Unterzeichnung der Gesetze über die Einfuhr abgebrannter Kernbrennstäbe eine Fachkommission einberufen. Dies spiegelt meiner Meinung nach seine Sorge über dieses Problem wider. Die Bildung der Kommission ist eine notwendige, aber vollkommen unzureichende Maßnahme. Der Kommission steht Akademiemitglied Schores Alfjorow vor, der bekanntermaßen die Einfuhr ausländischer atomarer Abfälle nach Rußland unterstützt. Seine Position ist somit im voraus klar. Von dieser Kommission wird die Gesellschaft also kaum objektive Gutachten erhalten.

Frage: Was geschieht, wenn am Paket der "Atomgesetze" doch noch Änderungen vorgenommen werden?

Jawlinski: Das Referendum ist natürlich kein Selbstzweck. Wir legen den Schwerpunkt nicht auf das Referendum an sich, sondern auf die nationalen Interessen unseres Landes. Es ist unsere Pflicht, den politischen Fehler des Parlaments und des Präsidenten zu korrigieren.

Wir betrachten die Einfuhr ausländischer abgebrannter Spaltstoffe als ein überaus gefährliches Abenteuer, das für künftige Generationen schwere Folgen nach sich ziehen wird. Werden die atomaren Abfallprodukte nach Rußland eingeführt, werden sie auf unbestimmt lange Zeit hier lagern, und sie können die Sicherheit und die Wirtschaftsentwicklung des Landes auf lange Sicht beeinträchtigen.

Frage: Was uns auch große Sorge bereitet, sind die vielfältigen Möglichkeiten für Bestechlichkeit und die zweckentfremdete Verwendung der Einnahmen aus den Geschäften mit dem Atommüll.

Jawlinski: Dann geht es natürlich auch um die Transporte. Atomare Abfälle heute nach und in Rußland zu transportieren, ist ein absolut verantwortungsloses und gefährliches Vorhaben. Wenn noch Änderungen an den Gesetzen vorgenommen werden, die die genannten Gefahren tatsächlich abwenden würden, sind wir bereit, unsere Haltung zum Referendum zu korrigieren.

Frage: Welche Änderungen müßten denn konkret vorgenommen werden?

Jawlinski: Es handelt sich vor allem um Änderungen, die die Endlagerung ausländischer atomarer Abfälle in Rußland verbieten und die Kontrolle über die Verwendung der Gelder sichern. Gegenwärtig kann man nämlich abgebranntes Kernmaterial nach den verabschiedeten Gesetzen nicht nur aufgrund internationaler Verträge, sondern auch auf Basis zivilrechtlicher Verträge nach Rußland einführen. Wir haben Informationen darüber, daß im Atomenergieministerium bereits Tausende Anträge verschiedener Firmen und Unternehmen, die unter anderem auch mit kriminellen Geschäften und der Schattenwirtschaft verbunden sind, eingehen, um nukleare Abfälle auf dem Territorium der Russischen Föderation endzulagern. Nach den Gesetzen ist das Atomenergieministerium die einzige Struktur, die diesen Prozeß kontrollieren kann. Dies ist aus unserer Sicht absolut unannehmbar. JABLoko fordert nachdrücklich, daß atomare Abfälle ausschließlich auf Basis internationaler Verträge, die im Parlament ratifiziert werden müssen, nach Rußland eingeführt werden dürfen.

Wir haben auch eine ganze Reihe anderer grundsätzlicher Forderungen. Wir sind zum Beispiel davon überzeugt, daß dem Parlament für jeden Vertrag eine Machbarkeitsstudie vorgelegt werden muß, und wir fordern, daß zunächst einmal eine Lösung für die Verarbeitung der einheimischen abgebrannten Kernbrennstäbe gefunden werden muß.

Frage: Wie reagieren die Behörden auf Ihre Initiativen?

Jawlinski: Ich habe Telegramme an alle Leiter der exekutiven und legislativen Organe der Föderationssubjekte gesandt. Über dreißig Parlamente der Föderationssubjekte unterstützen unsere Haltung und haben sich bereits gegen die "Atomgesetze" ausgesprochen.

Die föderalen Behörden verfolgen aber offensichtlich einen entgegengesetzten Kurs. Die Administration des Präsidenten und die Regierung haben von Anfang an die Nuklearlobbyisten aus dem Atomenergieministerium begünstigt. Die Staatsduma unterstützte sie bekanntlich sogar direkt und eindeutig. Der Föderationsrat hingegen förderte sie indirekt: Er weigerte sich nämlich einfach, das Paket der Einfuhrgesetze zu erörtern und begründete dies damit, daß sie "nicht unbedingt im Föderationsrat zu behandeln sind und dem Präsidenten auch ohne Erörterung in der Oberen Kammer vorgelegt werden können". Nun, der Präsident unterzeichnete die Gesetze und bildete gleichzeitig eine Fachkommission, die die Umsetzung der in der Duma verabschiedeten Gesetze kontrollieren soll. Ich habe über diese Kommission bereits gesprochen. Diese Kommission ist eher als Reaktion des Präsidenten auf die extrem negative Haltung der Öffentlichkeit hinsichtlich der Verabschiedung dieser Gesetze zu verstehen.

Frage: Negativ ist nicht nur die Einstellung der Öffentlichkeit, auch die Gutachten einer Reihe von Wissenschaftlern geben zu denken.

Jawlinski: Die Wissenschaftler zeigen sich in dieser Frage gespalten: Die einen unterstützen die Einfuhr ausländischer Kernbrennstoffe, während sich die anderen kategorisch dagegen wenden. Das Atomenergieministerium, das das Paket der Einfuhrgesetze durchgedrückt hat, legt natürlich nur positive Gutachten vor. Auch Präsident Putin verweist nur auf diese Dokumente. Putin hat aber die Stellungnahmen vieler anderer russischer Wissenschaftler, Experten und Mitarbeiter der Atombranche nicht eingeholt. Die Duma erhielt die Stellungnahmen von mehr als zehn Forschungsinstituten, die die Sicherheit dieses Vorhabens des Atomenergieministeriums im Prinzip anzweifeln. Es gibt außerdem eine Erklärung von fünfzehn Mitgliedern der Akademie der Wissenschaften, die im Detail die Gefährlichkeit dieses Vorhabens offenlegt.

Frage: Sie stützen sich also auf die Einschätzungen dieses Teils der Wissenschaftler?

Jawlinski: Für mich ist es schwierig, die fachlichen Fragen einzuschätzen. Ich glaube jedoch, daß die Umweltschützer Recht haben. In politischer Hinsicht ist dieses Projekt absolut unvertretbar: Die politischen Risiken, die mit der Einfuhr von atomaren Abfällen zusammenhängen, sind in unserem Land sehr hoch. Die Durcharbeitung der Gesetze, die das Atomenergieministerium auf der Forschungs- und Expertenebene durchgeführt hat, entspricht in keiner Weise der Höhe dieser Risiken.

Für mich ist wichtig, daß die russischen Bürger in ihrer überwiegenden Mehrheit die Pläne des Atomenergieministeriums bezüglich der Einfuhr ablehnen. Dies bedeutet in der Tat die Verwandlung Rußlands in einen internationalen Atommüllplatz. Wenn hundert Millionen Bürger Rußlands gegen die Einfuhr ausländischer atomarer Abfälle protestieren und 500 Beamte in Moskau diesen Protest nicht zur Kenntnis nehmen beziehungsweise unterdrücken, dann stelle ich mich auf die Seite der Bürger. Wir streben das Referendum oder aber die genannten Änderungen an den jüngsten Gesetzen an. Die unheilvollen Folgen dieser Gesetze müssen wir verhindern.
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Wo wird die Welt ihren Atommüll lagern?

von
Alexej Koslatschkow, Journalist, Moskau


Sind die Lagerstätten für atomare Abfälle in Rußland tatsächlich sicher, fragen sich viele Bürger des Landes
 
Gegen die in zweiter Lesung angenommenen Gesetze, die faktisch die Einfuhr radioaktiver Abfälle nach Rußland erlaubten, gab es viele Proteste. Die Grünen, JABLoko und der "Bund der rechten Kräfte" sammelten Unterschriften für ein Referendum. Die nötigen Unterschriften wurden vorgelegt, doch von der Zentralen Wahlkommission wurde die Hälfte der Unterschriften als ungültig gewertet. Die Regierung und insbesondere das Atomministerium sehen die Einfuhr und Endlagerung von radioaktivem Müll als Möglichkeit, dem staatlichen Haushalt Einnahmen und der Atomindustrie Investitionen zuzuführen, und geben sich überzeugt, daß das Land die technischen Möglichkeiten hat, Atommüll sicher endzulagern.
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Länderspezial Kasachstan

Die Republik Kasachstan feiert in diesem Jahr wie die anderen postsowjetischen Republiken den zehnten Jahrestag ihrer Unabhängigkeit. Anlaß für unsere kasachstanischen Autorinnen und Autoren, die Entwicklung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu betrachten.


Hoffen auf größeres Engagement seitens der EU und Deutschlands

von
Bulat Sultanow, Direktor des Zentrums für Außenpolitik und Analyse, Almaty


Die Bundesrepublik Deutschland gehörte zu den ersten Staaten, die die Unabhängigkeit Kasachstans anerkannten
 
In der Außenpolitik Kasachstans kommt Westeuropa als einem der drei Hauptzentren der Weltwirtschaft große Bedeutung zu. Während sich aber die wirtschaftlichen Beziehungen erfolgreich entwickeln, gibt es in Fragen der politischen Zusammenarbeit Irritationen. So wurde Kasachstan kein Beobachterstatus in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates gewährt, und Organisationen wie die OSZE mahnen immer wieder die Achtung der Menschenrechte und das Prinzip der Oberhoheit der Gesetze an. Kasachstan erwartet von der EU wiederum ein größeres Engagement bei der Lösung von Problemen der gesamten zentralasiatischen Region. Deutschland ist nach Rußland der wichtigste Handelspartner Kasachstans, allerdings sind die Deutschen zurückhaltend in der Investitionstätigkeit. Ein wichtiger Faktor in den Beziehungen ist die deutsche Diaspora in Kasachstan und die große Zahl der Kasachstandeutschen in Deutschland.
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In fast allen Fragen stimmt man überein - die Beziehungen zu Rußland

von
Nikolai Kusmin, Experte am Zentrum für Außenpolitik und Analyse, Almaty


Rußland ist der wichtigste Wirtschafts- und Handelspartner Kasachstans. Die beiden Länder verbindet eine enge, auf langen historischen Beziehungen gründende Partnerschaft. In vielen Bereichen des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens arbeitet man intensiv zusammen und baut die Beziehungen stetig aus. In vielen regionalen und internationalen Fragen vertreten die politischen Führungen beider Länder ähnliche, wenn nicht identische Positionen.
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Kasachstans Platz in regionalen Strukturen und Organisationen

von
Adil Koschichow, Experte des Zentrums für Außenpolitik und Analyse, Almaty


Kasachstan hat bei den Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der GUS wie hier im Juni 2001 Vorschläge für eine engere Zusammenarbeit unterbreitet
 
Die Republik Kasachstan trat unmittelbar nach der Auflösung der Sowjetunion für die Etablierung neuer internationaler und regionaler Strukturen vor allem zur Förderung der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen ein. Einige der heute existierenden Vereinigungen gehen auf die unmittelbare Initiative des kasachstanischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew zurück. Für die zentralasiatische Republik wichtig sind die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, die Euroasiatische Wirtschaftsgemeinschaft, die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit und die Konferenz für Zusammenarbeit und vertrauensbildende Maßnahmen in Asien.
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Kasachstan und seine zentralasiatischen Nachbarn

von
Adil Koschichow, Experte des Zentrums für Außenpolitik und Analyse, Almaty


Auf dem Grünen Basar in Almaty treffen sich Angehörige aller Staaten der zentralasiatischen Region
 
Die zentralasiatische Region ist, wie manche Entwicklungen in den letzten Jahren gezeigt haben, eine hochsensible Region. Neben inneren Faktoren wie Grenzstreitigkeiten und Nutzung der Ressource Wasser wirken auch äußere Faktoren, wie internationaler Terrorismus, religiöser Extremismus und illegaler Drogen- und Waffenhandel, auf die Region ein. Stabilität und Sicherheit lassen sich nur in der Gemeinschaft und mit vereinten Anstrengungen aller fünf Staaten erreichen. Kasachstan ist bestrebt, auf bilateraler Ebene eine gute Zusammenarbeit zu ermöglichen und zugleich regionale Integrationsstrukturen auf- und auszubauen.
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Kasachstan und die moslemische Welt

von
Laura Jerkeschewa, Expertin im Zentrum für Außenpolitik und Analyse, Almaty


Die Frage des Rechtsstatus des Kaspischen Meeres ist ein Streitpunkt zwischen den Anrainerstaaten
 
In der Außenpolitik Kasachstans spielt der Ausbau der bilateralen Beziehungen zu verschiedenen Ländern eine wichtige Rolle - dies gebieten vor allem die wirtschaftlichen Interessen der Republik. Mit einigen moslemischen Ländern, wie beispielsweise mit dem Iran und perspektivisch nach Lösung des Afghanistankonfliktes mit Pakistan, verbindet Kasachstan vor allem die Frage des Erdöltransports zu den Weltmärkten. Mit der Türkei und den Ländern des Nahen Ostens werden die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen ausgebaut.
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Betrachtung der politischen Parteienlandschaft

von
Anton Morosow, Experte im Zentrum für Außenpolitik und Analyse, Almaty


Blick ins kasachstanische Parlament
 
Formal sind in Kasachstan alle Voraussetzungen für die Tätigkeit von politischen Parteien und Bewegungen, für ein funktionierendes Mehrparteiensystem und die Interessenvertretung der Bevölkerung durch Parteien geschaffen. Sechzehn Parteien und Bewegungen sind in unterschiedlichem Maße in den gesellschaftspolitischen Prozeß des Landes eingebunden. Vier Parteien sind im Parlament vertreten, das allerdings an der Ausübung der realen Staatsmacht bisher kaum Anteil hat. Die Parteienlandschaft gliedert sich in einen präsidententreuen und einen liberalen Flügel sowie die konstruktive Opposition. Die Parteienfinanzierung seitens des Staates, religiöser Vereinigungen und durch ausländische Personen oder Organisationen ist verboten, doch greifen die Gesetze nicht umfassend.
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Astana die neue, Almaty die südliche Hauptstadt

von
Nikolai Larin, Experte im Zentrum für Außenpolitik und Analyse, Almaty


Von 1927 bis 1997 war Almaty Hauptstadt zunächst der Kasachischen SSR und seit 1991 der unabhängigen Republik Kasachstan
 
Vielen Beobachtern erschien der Vorschlag Präsident Nasarbajews, die kasachstanische Hauptstadt vom südlichen Rand der Republik in den zentralen Landesteil zu verlegen, von Anfang an einleuchtend - und sei es nur aus dem Grunde, daß die zweitgrößte in Kasachstan vertretene Nationalität, die Russen, vornehmlich in den zentralen und nördlichen Landesteilen leben. Zwar sind immense Kosten mit der Gestaltung der neuen Hauptstadt Astana verbunden, aber die Argumente für die Verlegung sind Legion - angefangen bei den natürlichen Begrenzungen Almatys, die ein Wachsen der Stadt beschränken, über die ökologischen und seismographischen Gefahren des Stadtmolochs bis hin zu einer gleichmäßigeren Besiedelung des riesigen kasachstanischen Territoriums, der Lage im Herzen Kasachstans wie Eurasiens und hin zur Rolle bei den Integrationsprozessen der GUS. Ende 1997 wurde Astana Hauptstadt Kasachstans. In den letzten Jahren hat sich die Stadt dynamisch entwickelt und wurde mit dem UNESCO-Titel "Stadt der Welt" ausgezeichnet.
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Gedanken zu Astana - ein Hauch von Hauptstadt

von
bat, Berlin


Die Almatyer, die Althauptstädter, reden eher abfällig über Astana, die neue Hauptstadt inmitten der weiten Steppe. Ungeschützt den Winden ausgesetzt, den eisigen im Winter wie den heißen im Sommer, und geplagt von Mücken, so heißt es. Überhaupt mit seinen etwas mehr als 300.000 Einwohnern sei Astana im Vergleich zu Almaty mit mehr als 1,2 Millionen Einwohnern wohl eher eine Provinzstadt. Astana muß sich also erst ein "Hauptstadtgesicht" geben.
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Das multikonfessionelle Kasachstan braucht einen weltlichen Staat

von
Anatoli Kossitschenko, Experte am Zentrum für Außenpolitik und Analyse, Almaty


Das Chodscha-Achmed-Jassawi-Mausoleum in Turkestan ist einer der wichtigsten Pilgerorte der zentralasiatischen Moslems
 
Im Prinzip bietet die religiöse Landschaft Kasachstans ein einfaches Muster: 95 Prozent der Bevölkerung gehören zwei Weltreligionen an - dem Islam und dem orthodoxen Christentum. Wäh-rend die russisch-orthodoxen Gemeinden aufgrund der weiter anhaltenden Migration der slawischen Bevölkerung aus Kasachstan schrumpfen, entfaltet eine Vielzahl für Kasachstan nichttraditioneller Konfessionen und Religionsgemeinschaften ihre missionarischen Aktivitäten, darunter protestantische Gemeinden, bahaistische Vereinigungen und Sekten wie die Jünger Krischnas oder die Zeugen Jehovas. Auch wenn sich das religiöse Leben der Republik insgesamt als ausgewogen darstellt, gibt es einige Probleme, die Konfliktstoffe bergen. Dazu zählen die Politisierung der Tätigkeit einiger Religionsgemeinschaften, die Gefahr des Eindringens fundamentalistischer Strömungen und die illegale Tätigkeit nichtregistrierter religiöser Vereinigungen.
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