Politik

Das Unternehmen "Familie” in der russischen Politik [ Abstract ]
Von Armen und Reichen - Haushaltsbeziehungen [ Abstract ]
Vom Völkergemisch zu nationalen Staaten - Migration im Kaukasus [ Abstract ]
Es gab keinen Linksruck in Armenien, mögen es die Bürger auch glauben [ Abstract ]
Rolle von UNO und OSZE bei Konflikten stärken [ Volltext ]
„Das ist die bisher größte Herausforderung für Europa“ [ Volltext ]
"Belarus tritt für die Stärkung der OSZE ein" [ Volltext ]
"Moskau wird einen neuen eisernen Vorhang nicht akzeptieren" [ Abstract ]
"Eine multipolare Welt wird nicht von selbst entstehen" [ Abstract ]
Kosovo - Probe für die ukrainische Neutralität [ Abstract ]
In der GUS effiziente, gleichberechtigte Beziehungen entwickeln [ Abstract ]
Die ukrainischen Dimensionen der Krise der GUS [ Abstract ]
Russisch-ukrainische Beziehungen im Zeichen der Balkanereignisse [ Abstract ]
Der Jugoslawienkonflikt im Spiegel russischer Meinungen [ Abstract ]
Geopolitische Einflüsse und die Einheit der belarussischen Nation [ Abstract ]
Frauen in der russischen Politik [ Abstract ]



Das Unternehmen "Familie” in der russischen Politik

von
Galina Tschinarichina, Politologin am EPIzentr, Moskau


Sergej Stepaschin
Die Krisen in Rußland sind vorbei: Das Impeachment ist im Sande verlaufen, die Einflußbereiche wurden neu verteilt, und die Stepaschin-Regierung hat ihre Arbeit aufgenommen. Die Medien widmen sich vor dem Hintergrund der nahenden Wahlen wieder einmal der engeren Umgebung Jelzins. Denn auch wenn die Parlamentswahlen aller Wahrscheinlichkeit nach wie geplant durchgeführt werden, gilt dies für die Präsidentschaftswahlen noch lange nicht.

Von Armen und Reichen - Haushaltsbeziehungen
von
Galina Tschinarichina, Politologin am EPIzentr, Moskau


Nowosibirsk ist eines der wenigen Föderartionssyubjekte, das keine Transfers erhält, aber Steuern in den föderalen Haushalt abführt
Die Beziehungen zwischen den regionalen Haushalten untereinander und dem föderalen gestalten sich trotz den für das Haushaltsjahr 1999 eingeleiteten Neuerungen weiterhin extrem kompliziert. Auch wenn die Föderationssubjekte insgesamt einen höheren Anteil an den Einnahmen des Gesamthaushaltes zugesprochen bekamen, wird dieser Mehranteil in Wirklichkeit spürbar relativiert. Nicht nur, daß den regionalen Haushalten immer mehr Ausgabenposten aufgebürdet werden; sie beziehen zudem ihre Einnahmen aus weniger stabilen Steuereinkünften. Der Anteil der Zentrale an der Mehrwertsteuer, der stabilsten Steuerquelle in der Russischen Föderation, wurde erhöht, und zugleich wurde ihr ein Teil der Einkommensteuer zugesprochen. Als Ausgleich führte man neue Steuern ein, um die Einnahmen der Föderationssubjekte zu steigern. Doch noch ist völlig unklar, ob mit diesen neuen Steuern die erwarteten Einnahmen überhaupt erzielt werden können. Gleichzeitig wurden aber die Finanzhilfen für die Regionen seitens des föderalen Haushalts nochmals gekürzt.


Vom Völkergemisch zu nationalen Staaten - Migration im Kaukasus
von
Alexander Iskanderjan, Direktor des Zentrums für Kaukasus-Studien, Moskau


Zunehmend entwickeln sich die Republiken und die russischen Teilrepubliken im Kaukasus zu monoethnischen, monokulturellen und monokonfessionellen Territorien. In einigen Ländern wie in Aserbaidschan, Armenien und Tschetschenien ist dieser Prozeß bereits abgeschlossen. Eingeleitet wurde diese Entwicklung bereits in den 60er Jahren; sie fand ihren Höhepunkt in den massiven Migrationsströmen Anfang bis Mitte der 90er Jahre. Auch heute haben diese Staaten es noch mit dem Phänomen der Migration zu tun. Diese ist vor allem eine Wirtschaftsmigration, wodurch sich die Geschlechter-, Alters- und Sozialstruktur der jeweiligen Gesellschaften gravierend verändern. In Rußland hat die Wirtschaftsmigration vor allem eine wachsende Ausländerfeindlichkeit bewirkt.


Es gab keinen Linksruck in Armenien, mögen es die Bürger auch glauben
von
Alexander Iskanderjan, Zentrum für Kaukasus-Studien, Moskau


Das Wahlergebnis der Parlamentswahlen in Armenien, das einen triumphalen Sieg des früheren Ersten Sekretärs des ZK der Kommunistischen Partei der Armenischen SSR Karen Demirtschjan brachte, wurde als Linksrutsch interpretiert. Tatsächlich jedoch fand lediglich eine Umgruppierung der "Partei der Macht” statt, die bereits nach dem Rücktritt von Präsident Lewon Ter-Petrossjan begonnen hatte. Karen Demirtschjan, der für die Armenier Symbol für ein reiches Leben zur Sowjetzeit ist, wurde benutzt, um die Stimmen der Wähler auf den Wahlblock "Einheit” zu vereinen. Was auch gelang, denn das Bündnis hat nun die absolute Mehrheit im Parlament. Der eigentliche Wahlsieger ist aber Verteidigungsminister Wasgen Sarkisjan, der zum Ministerpräsidenten berufen worden ist und der die Belange der Armee, die im Lande immens große Bedeutung hat, und die Interessen einflußreicher Geschäftskreise vertritt. Damit schlägt Armenien nach Ansicht von Alexander Iskanderjan einen Weg weg von der Präsidialrepublik hin zu einem stärkeren Parlamentarismus ein.


Rolle von UNO und OSZE bei der Prävention von Konflikten stärken
Interview mit
Hussein-aga Ssadigow, Botschafter der Aserbaidschanischen Republik in Deutschland


Welche Perspektiven sehen Sie für Ihr Land bezüglich der Zusammenarbeit mit Westeuropa?
Aserbaidschan ist der Meinung, daß die Zusammenarbeit mit den westeuropäischen Ländern zu beiderseitigem Nutzen ist. Das Interesse europäischer Firmen an Aserbaidschan nimmt weiter zu. Die EU-Mitgliedsstaaten sind in die Erdölförderung im aserbaidschanischen Sektor des Kaspischen Meeres und auf der Abscheron-Halbinsel aktiv eingebunden. Damit helfen sie Aserbaidschan seine Off- und On-Shore-Vorkommen zu gegenseitigem Nutzen auszubeuten. Europäische Unternehmen haben hier viele Möglichkeiten, und nicht nur in der Erdölförderung. Günstige Bedingungen bieten auch die erdölverarbeitende Industrie, die chemische sowie die Eisen- und Stahlindustrie, die NE-Metallurgie, die Baustoff-, Elektro-, Leicht- und Lebensmittelindustrie. Gute Möglichkeiten eröffnen zudem die Landwirtschaft und der Dienstleistungssektor.

Welche Rolle sollen künftig UN und OSZE spielen?
Die Förderung der Zusammenarbeit und die Vorbeugung von Kriegen und Konflikten zwischen und innerhalb der Staaten der Welt sind die Hauptaufgaben von UNO und OSZE. Doch muß man konstatieren, daß diese beiden internationalen Organisationen leider nicht imstande sind, ihre Aufgaben gut zu erfüllen. Aserbaidschan ist der Ansicht, daß beide Organisationen sich künftig aktiver in der Prävention und der Beilegung von Konflikten engagieren sollen.

Wie sollte sich Ihrer Meinung nach die künftige Zusammenarbeit in der GUS entwickeln?
Die Entwicklung der künftigen Zusammenarbeit innerhalb der GUS soll sich unserer Meinung nach in erster Linie aufgrund der gleichberechtigten wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den GUS-Mitgliedsländern, wie zum Beispiel innerhalb der EU, gestalten.

Was denkt Aserbaidschan über die Beteiligung an einem Verteidigungsbündnis der GUS?
Aserbaidschan hat vor einigen Jahren einen Vertrag über die kollektive Sicherheit der GUS-Mitgliedsstaaten unterzeichnet, doch wurde der Vertrag nicht ratifiziert. Es ist bekannt, daß der armenisch-aserbaidschanische Konflikt schon mehrere Jahre lang andauert, infolge dessen zwanzig Prozent des aserbaidschanischen Territoriums okkupiert und mehr als eine Million unserer Bürger aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Zwei Staaten - Mitglieder der Gemeinschaft, Armenien und Aserbaidschan - sind im Zustand des bewaffneten Konflikts. Der dritte Staat, Rußland, ist einer der Ko-Vorsitzenden der Minsker Gruppe der OSZE, deren Aufgabe die Beilegung des Konflikts ist. Anfang des Jahres 1997 wurde die Tatsache der illegalen Waffenlieferungen von Rußland an Armenien bekannt, einschließlich einer großen Zahl Panzer, operativ-taktischer Flugabwehr- und Raketensysteme, verschiedener Düsenkomplexe und anderer Techniken im Wert von über einer Milliarde Dollar. Wie bekannt, erfolgen diese Lieferungen seit 1993, das heißt seit dem Ende der aktiven Kämpfe zwischen Armenien und Aserbaidschan, und nachdem der Waffenstillstand erzielt wurde.
Außerdem verstärkt die Russische Föderation ihre militärische Präsenz in Armenien weiter. Sie hat in den letzten Monaten moderne militärische Angriffstechnik nach Armenien geliefert, darunter Flugabwehr- und Raketenkomplexe S-300 sowie Jagdflugzeuge des Typs MiG-29.
All dies widerspricht den Anordnungen des Präsidenten der Russischen Föderation vom 9. September 1993, die jede Lieferung russischer Militärtechnik und Munition an Armenien und Aserbaidschan bis zur friedlichen Beilegung des armenisch-aserbaidschanischen Konflikts verbieten, sowie der Rolle und den Verpflichtungen Rußlands als eines der KO-Vorsitzenden der Minsker Gruppe der OSZE. Es widerspricht auch den entsprechenden Resolutionen des Sicherheitsrates der UNO Nr. 822, 853, 874 und 884 aus dem Jahre 1993 und den Beschlüssen der OSZE, die im Zusammenhang mit dem armenisch-aserbaidschanischen Konflikt verabschiedet worden sind.
Also, die Lieferungen russischer Waffen und Militärtechnik an Armenien und die Unterbringung militärischer Stützpunkte auf dessen Territorium sind grobe Verletzungen des Vertrages über die kollektive Sicherheit der GUS-Staaten.
Unter Bezugnahme auf die obengenannten Gründe hat Aserbaidschan Anfang 1999 angekündigt, daß es diesen Vertrag nicht verlängern will, und hat dementsprechend das Protokoll über die Verlängerung des Vertrages der kollektiven Sicherheit beim GUS-Gipfeltreffen Anfang April 1999 nicht unterzeichnet.


"Das ist die bisher größte Herausforderung für Europa"
von
Dr. Anatoli Ponomarenko, Botschafter der Ukraine in Deutschland


Von Beginn des Kosovokrieges an war klar, daß nur ein gemeinsames Bemühen der EU und der europäischen Staaten die Krise bewältigen könne. Bereits zu Beginn des Krieges hat die Ukraine erste Vermittlungsversuche unternommen, und Elemente der Vorschläge von Präsident Kutschma sind in die Verhandlungslösung eingeflossen. Die Ukraine hat stets ihre Bereitschaft erklärt, sich an der internationalen Friedenstruppe im Kosovo zu beteiligen. Der Krieg hat aber in den Staaten der früheren Sowjetunion und auch in der Ukraine vor allem bei Älteren das alte Feindbild der NATO wiedererstehen lassen. Die ukrainische Führung sieht jedoch weiterhin in der NATO einen Stabilitätsfaktor für Europa, wobei künftig die Rolle der verschiedenen internationalen Institutionen wie UNO und OSZE gestärkt werden sollte, um eine tragfähige gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur zu schaffen

Die Ereignisse im Kosovo haben die politischen Eliten in der Ukraine und in ganz Europa vor eine der größten Herausforderungen seit dem Ende des kalten Krieges gestellt. Sie haben - und das ist auch natürlich - die einfachen Menschen und die Gesellschaften in vielen Ländern der Welt tief berührt. Die Ukraine als europäisches Land ist diesbezüglich keine Ausnahme. Von Beginn des Konfliktes an war klar: Nur durch gemeinsame Bemühungen der Europäischen Union und anderer europäischer Staaten sowie durch das Mitwirken vieler Nationen kann diese Krise bewältigt werden.

Aus diesem Grund hat die Ukraine als eines der ersten Länder eine Friedensinitiative vorgelegt. Bereits am 27. März waren Außenminister Boris Tarasjuk und Verteidigungsminister Alexander Kusmuk zu einem ersten Vermittlungsversuch in Belgrad. Nach dem Treffen in Jugoslawien waren Bonn, London und Paris die nächsten Stationen des ukrainischen Außenministers - er wollte die Regierungen über die Verhandlungen mit der jugoslawischen Führung informieren. Wir haben vor den Illusionen gewarnt, daß der Krieg schnell vorbei sein könnte. Zu Recht, wie man heute weiß.

Obwohl sich die Ukraine gegen die einseitige Militäraktion der NATO ohne ein entsprechendes UNO-Mandat ausgesprochen hat, haben wir andererseits Verständnis für deren Gründe gezeigt. Der Konflikt auf dem Balkan hat uns allen die Mißachtung von Menschenrechten vor Augen geführt. Da konnte doch Europa auf der Schwelle zum 21. Jahrhundert nicht tatenlos zusehen und die Vertreibungen im Kosovo ohne weiteres hinnehmen. Denn ohne Respekt vor den Menschenrechten und den Rechten nationaler Minderheiten, ohne Respekt vor dem Völkerrecht werden unsere Welt nach wie vor Konflikte und humanitäre Katastrophen heimsuchen.

Die Friedensinitiative von Präsident Kutschma, deren Details in der ersten Aprilhälfte veröffentlicht wurden, zielte darauf, die Vertreibungen im Kosovo zu stoppen und gleichzeitig die Logik des Krieges zu überwinden. Zu diesem Zweck sah der ukrainische Friedensplan drei Etappen vor. In der ersten Etappe sollte die jugoslawische Führung die Kriegshandlungen im Kosovo einstellen, die Armee und die Sicherheitskräfte aus der Provinz zurückziehen sowie die Bedingungen für die Rückkehr von Hunderttausenden von Flüchtlingen unter der Kontrolle von internationalen Friedenskräften schaffen. Die NATO-Staaten sollten die Luftangriffe gegen die Bundesrepublik Jugoslawien einstellen. Gleichzeitig mit dem Rückzug der jugoslawischen Streitkräfte sollte eine internationale Friedenstruppe nachrücken. Die Ukraine hatte sich bereit erklärt, sich an einem solchen Kontingent zu beteiligen, und ihre Bereitschaft seither mehrmals bekräftigt.

Man kann also sehen, daß sich die Ukraine bereits zu Beginn des Konfliktes den Bemühungen der internationalen Gemeinschaft angeschlossen hat. Wir waren uns durchaus unserer Verantwortung für die Entwicklung auf dem europäischen Kontinent bewußt. Zudem hatte der Krieg in Jugoslawien sehr negative wirtschaftliche Folgen für unser Land. Allein die ukrainische Schiffahrt - die Ukraine ist bekanntlich Anrainer der Donaumündung - erlitt durch den Krieg und die Blockade täglich Verluste von 570000 DM. Die direkten Verluste ukrainischer Unternehmen, die enge Beziehungen zu ihren Partnern im Donauraum, etwa in Österreich oder Ungarn, haben, werden auf täglich 2,3 Millionen DM beziffert. Das wichtigste war aber, so schnell wie möglich dem unermeßlichen Leid der Menschen im Kosovo ein Ende zu bereiten.

Ich bin überzeugt, daß unter anderem auch die ukrainischen Vorschläge nicht ungehört geblieben sind. Wenn wir zum Beispiel den deutschen Friedensplan oder die Initiative der G-7-Länder und Rußlands betrachten, so kann man da viele gemeinsame Positionen mit den Vorschlägen des ukrainischen Präsidenten Kutschma finden.

Die Ukraine hat die politische Resolution des UNO-Sicherheitsrates, die am 10. Juni verabschiedet wurde, nicht nur sofort unterstützt, sondern sie war selbst aktiv an deren Ausarbeitung beteiligt. Die praktische Umsetzung dieser Resolution soll helfen, die Folgen der furchtbaren humanitären Katastrophe zu bekämpfen; sie soll die Rückkehr der Vertriebenen und Flüchtlinge in den Kosovo unter Gewährleistung der Souveränität und territorialen Integrität der Bundesrepublik Jugoslawien und einer weitgehenden Autonomie für das Kosovo ermöglichen.

Der Krieg im Kosovo hat es uns allen nicht leichter gemacht. Es ist wohl nicht verwunderlich, daß in der öffentlichen Meinung in unserem Land eher die negativen Einschätzungen überwiegen. Insgesamt hat der Krieg - vor allem bei der älteren Bevölkerung in der Ukraine - das negative NATO-Bild eher verstärkt, zumal die Allianz in der Zeit der Sowjetunion das offizielle Feindbild darstellte. Die Regierung, der Präsident und große Teile des Parlaments halten aber die NATO nach wie vor für einen Stabilitätsfaktor in Europa. Auch in der Osterweiterung des Bündnisses sehen wir keine Gefahr für uns und streben eine Vertiefung der Zusammenarbeit mit der Allianz an. Das haben wir bereits mit der Unterzeichnung der gemeinsamen Charta von 1997 in Madrid deutlich zum Ausdruck gebracht; beim NATO-Gipfel Ende April in Washington und bei dem gleichzeitig stattfindenden Gipfel "Ukraine-NATO" haben wir unsere Absichten noch einmal bekräftigt.

Wir sehen aber auch die Notwendigkeit - und das hat der Konflikt im Kosovo uns allen vor Augen geführt - der Stärkung der Rolle der verschiedenen internationalen Institutionen: sei es die UNO oder die OSZE. Nur durch den Ausbau eines Netzes sicherheitspolitischer Instrumente, die sich untereinander ergänzen, kann eine tragfähige gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur geschaffen werden.

Ähnlich wie in der Ukraine hat der Konflikt im Kosovo auch in den anderen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion die alten NATO-Feindbilder zum Leben erweckt. Im postsowjetischen Raum tut sich insbesondere die ältere Generation schwer, in der heutigen NATO ein Bündnis demokratischer Staaten zu sehen.

Es liegt auch auf der Hand, daß die Regierungen in den verschiedenen GUS-Staaten nicht immer identische Positionen im Kosovokonflikt vertreten. Selbstverständlich wird diese wichtige Frage bei den Gesprächen und Konferenzen zwischen den politischen Eliten der GUS diskutiert. Ich bin aber nicht der Meinung, daß der Kosovokonflikt zu irgendwelchen neuen oder engeren Beziehungen innerhalb der GUS oder zu ihrer Verschlechterung führen kann. Die Ukraine hat mehrmals betont, daß sie in erster Linie an gutnachbarschaftlichen Beziehungen und engen bilateralen wirtschaftlichen Kontakten zu den GUS-Staaten interessiert ist. Dem Taschkenter Vertrag über die kollektive Sicherheit haben wir uns nicht angeschlossen und haben auch nicht vor, dies in der Zukunft zu tun. Wir sehen keinen Bedarf, an dieser Position etwas grundsätzlich zu ändern. Die europäische Orientierung bleibt ein strategisches Ziel der ukrainischen Regierung und in der Umsetzung der europäischen Idee sehen wir die Zukunft für unser Land.

In den acht Jahren der Unabhängigkeit hat die Ukraine bewiesen, daß sie auch äußerst schwierige Probleme auf friedlichem Wege lösen kann. Als gutes Beispiel hierfür kann man das komplizierte Krim-Problem nehmen. Außerhalb ihrer Landesgrenzen nimmt die Ukraine an verschiedenen Friedensmissionen, darunter auch auf dem Balkan, teil. Unsere Soldaten haben bei den SFOR-Einheiten in Bosnien erfolgreich Dienst getan; zwanzig von ihnen bezahlten den Friedenseinsatz mit ihrem Leben. Kiew trägt darüber hinaus zur Lösung der Konflikte in Abchasien und Transnistrien bei. Aus diesem Grund hat die Ukraine das Recht und die Pflicht - wie alle anderen Europäer -, an der Friedenssicherung und am Wiederaufbau im Kosovo teilzunehmen. Wir sind bereit, unsere positiven Erfahrungen einzubringen und uns an der Umsetzung des Stabilitätspaktes für Südosteuropa zu beteiligen. Wir haben bereits vorgeschlagen, daß am KFOR-Kontingent im Kosovo ungefähr 1300 ukrainische Soldaten teilnehmen können.
Die Hoffnung ist wieder da. Auf den Balkan kann nun der Frieden zurückkehren. Der Weg dorthin ist aber noch sehr lang und schwierig.

Die Herausforderungen, vor denen die Europäer stehen, sind heute so groß wie lange nicht mehr. In den letzten Jahren haben wir sehr oft darüber gesprochen, daß man die Entstehung von neuen Trennlinien in Europa nicht zulassen darf. Schon die geplante Osterweiterung der Europäischen Union war und bleibt unter diesem Gesichtspunkt keine leichte Aufgabe. Die Ostgrenze der EU, die Perspektive der EU-Integration für Staaten, die aus heutiger Sicht noch nicht verhandlungsreif für den EU-Beitritt sind, die künftige europäische Sicherheitsarchitektur, die gemeinsame Strategie der EU gegenüber der Ukraine - das sind die Fragen, die nicht nur für unser Land, sondern auch für die Europäische Union und das gesamte Europa von großer Bedeutung sind. Der Konflikt im Kosovo, die Friedenssicherung auf dem Balkan und der Wiederaufbau in dieser Region sind Herausforderungen, die die Europäer nur gemeinsam lösen können. Der Balkan birgt nach wie vor eine potentielle Gefahr für Entstehung neuer Risse im Europäischen Haus in sich. Diese Gefahr abzuwenden ist unsere wichtigste gemeinsame Aufgabe.


"Belarus tritt für die Stärkung der OSZE ein"
von
Außenministerium der Republik Belarus


Wie schätzen Sie die Angriffe der NATO auf Jugoslawien ein?
Die Kriegshandlungen der NATO gegen Jugoslawien verletzten die UN-Charta, sie wurden unter Mißachtung des Sicherheitsrates geführt und stehen im Widerspruch selbst zu den Gründungsdokumenten der NATO. Die Ereignisse in Jugoslawien haben die Verpflichtung gebrochen, keine Militärmacht gegen andere Staaten einzusetzen, sich nicht in die inneren Angelegenheiten unabhängiger Staaten einzumischen, die Souveränität eines unabhängigen Staates nicht zu verletzen und den Schutz der friedlichen Einwohner im Krieg zu sichern sowie die Verpflichtungen, die freie Schiffahrt auf den internationalen Strömen zu gewährleisten. Das war praktisch eine Aggression gegen einen souveränen Staat.
Die Republik Belarus vertritt, da eine militärische Lösung dieses Problems aussichtslos ist, den Standpunkt und hat gefordert, die Kriegshandlungen in und gegen Jugoslawien unverzüglich einzustellen sowie die jugoslawische Krise friedlich, mit politischen und diplomatischen Mitteln und auf der Basis des Völkerrechts zu regeln. Die politische Regelung kann nur stabil sein, wenn sie der Gewährleistung der Sicherheitsinteressen in Europa entspricht, die Grundinteressen Jugoslawiens berücksichtigt und auf Basis der allgemein geltenden Prinzipien des Völkerrechts durchgeführt wird. Der Besuch des Präsidenten der Republik Belarus in Belgrad am 14. April 1999 war ein Beitrag, den Konflikt in diesem Sinne zu lösen.

Welche Folgen für die internationalen Beziehungen resultieren für Sie aus diesem Krieg?
Die Größe des Konflikts um Jugoslawien und die schwer überwindbaren Hindernisse bei dessen Regelung haben die Tiefe und das Ausmaß seiner Auswirkungen für ganz Europa proportional vergrößert. Die Bombenangriffe haben die militärpolitische Situation auf dem europäischen Kontinent und in der ganzen Welt erheblich verändert. Erstmals nach 1945 war ein europäischer Staat Raketen- und Bombenschlägen ausgesetzt. Die NATO versuchte, ihr "Recht", Handlungen unter Ausschluß des UN-Sicherheitsrates durchzuführen, de facto festzuschreiben. Die vollständige Einhaltung der Prinzipien und Normen des Völkerrechts, die Entschließungen des UN-Sicherheitsrates eingeschlossen, ist jedoch eine grundlegende Bedingung zur Erhaltung der Stabilität in den gegenwärtigen internationalen Beziehungen. Der Krieg hat diese Grundlagen und die bestehenden Mechanismen zu deren Umsetzung inklusive des Embargos untergraben. Jede Abweichung vom Embargo für Waffenlieferungen und von den Bestimmungen der 1160. Entschließung des Sicherheitsrates aus dem Jahre 1998 kann eine Kettenreaktion auslösen. Unvereinbar mit den Bestimmungen dieser Entschließung sind auch die Aktivitäten zur Ausbildung und Schulung der Freischärler im Kosovo.
Die gegenwärtige Situation um Jugoslawien bedroht das funktionierende System der unteilbaren Sicherheit in Europa und gefährdet seine neue Architektur durch die Entstehung neuer Trennlinien auf dem europäischen Kontinent.
Bei der Betrachtung der Aussichten von Friedensoperationen im Kosovo geht Belarus von den allgemeinen Prinzipien der Beschlußfassung von UN-Friedensoperationen aus. Eine unbedingte Voraussetzung für die Entfaltung der Friedensoperationen im Kosovo ist eine entsprechende Entschließung des Sicherheitsrates.
Falls der Verhandlungsprozeß in die Länge gezogen wird, hält es Belarus für sinnvoll, in der UNO eine "Gruppe der Freunde des Friedens in Jugoslawien" derjenigen Länder zu bilden, die an den Kriegshandlungen der NATO gegen Jugoslawien nicht beteiligt waren.
Eine politische Regelung ist nur möglich, wenn die Wirtschaft Jugoslawiens wiederhergestellt und die durch den Konflikt betroffenen Länder dieser Region unterstützt werden. Nach dem Balkankrieg werden Anstrengungen der ganzen Weltgemeinschaft erforderlich sein. Belarus unterstützt die Vorschläge, einen Internationalen Fonds zum Wiederaufbau Jugoslawiens zu bilden.

Welche Aussichten sehen Sie für Ihr Land in bezug auf die künftige Zusammenarbeit mit Westeuropa?
Belarus liegt im Zentrum Europas und will sich aktiv an den gesamteuropäischen Integrationsprozessen beteiligen. Das Streben der Republik Belarus nach einer möglichst engen Zusammenarbeit stößt heute auf Verständnis in den westeuropäischen Ländern. Der Ausbau der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Westeuropa und Belarus entspricht objektiv den Interessen aller und insbesondere derjenigen Staaten, die eine gemeinsame Grenze mit Belarus haben. Entscheidend ist hierbei die außenpolitische Bedeutung von Belarus.
Die Führung der Republik Belarus will in Gemeinschaft mit anderen interessierten Ländern auch weiterhin eine breitangelegte Arbeit zur Gestaltung eines Gürtels der guten Nachbarschaft in unserer Region und Subregion leisten. Es handelt sich um eine konsequente Festigung der Wirtschaftsbeziehungen, die Suche nach für alle vorteilhafte Formen der Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technik sowohl in den Grenzgebieten als auch der Subregion sowie die gemeinsame Lösung der aktuellen Umweltprobleme. Bisher werden die Möglichkeiten der kulturellen und humanitären Zusammenarbeit und des politischen Dialogs nur unzulänglich genutzt.
Unser Staat ist bereit, aufgrund der bestehenden Gegebenheiten gleichberechtigt, respektvoll und konstruktiv mit allen interessierten Ländern zusammenzuarbeiten.

Strebt Ihr Land den Eintritt in die NATO und/oder die EU an?
Für die Republik Belarus bedeutet Westeuropa heute vor allem die Europäische Union, in der ungeachtet vieler Probleme im Zusammenhang mit den Kriegshandlungen auf dem Balkan ein aufnahmefähiger, zahlungskräftiger Markt existiert und die internationale Qualität der Waren und Dienstleistungen gesichert ist. Die Republik Belarus baut ihre Beziehungen mit der EU aufgrund des Abkommens über die Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen Belarus und der Europäischen Union auf, das 1995 in Brüssel unterzeichnet wurde.
Wir sehen auch die Bemühungen der Europäischen Union, eine neue Herangehensweise an Belarus zu entwickeln, und sind unsererseits bereit, diese neuen Initiativen der EU weitestgehend zu unterstützen. Belarus ist bereit, die Beziehungen zur EU umfassend zu entwickeln, die in Zukunft einen freien Handel und andere Formen des Zusammenwirkens im Einklang mit den Interessen beider Seiten enthalten sollen.
Belarus ist überzeugt, daß die Entscheidung der NATO, sich nach Osten zu erweitern, ein historischer Fehler ist. Nichtsdestotrotz respektiert Belarus die souveräne Entscheidung der Staaten, die NATO-Mitglieder sein wollen. Andererseits darf Belarus seinerseits erwarten, daß diese Länder unsere Formen und Methoden der Gewährleistung unserer nationalen Sicherheit respektieren.
Belarus tritt für eine konstruktive Entwicklung der Beziehungen zur NATO ein, selbstverständlich unter der Voraussetzung, daß die Allianz von einer Doktrin ausgeht, die den Frieden und die Sicherheit in Europa nicht aufgrund eines Diktats, sondern auf der Basis gleichberechtigter und beiderseits vorteilhafter Zusammenarbeit im Interesse eines einheitlichen und unteilbaren Europas des 21. Jahrhunderts gewährleistet.

Welche Rolle sollen in Zukunft die UNO und die OSZE spielen?
Belarus tritt unabänderlich für die Festigung der zentralen Rolle der UNO in der Welt und der OSZE in Europa beim Aufbau einer internationalen und regionalen Architektur der Sicherheit und Stabilität ein.
Die Befugnisse der OSZE sollen der Rolle entsprechen, die ihr in diesem Bereich zugedacht werden soll. Die Republik Belarus tritt für die Stärkung der OSZE und deren Ausstattung mit wirksamen Mechanismen ein, die eine koordinierende und systembildende Rolle beim Zusammenwirken aller europäischen und transatlantischen Sicherheitsinstitutionen sichern und die Umsetzung ihrer Funktionen als Hauptinstrument der Konfliktregelung fördern, die den umfassenden und unteilbaren Charakter der Sicherheit in Europa festigen sowie Einflußbereiche und Trennlinien im Raum der OSZE ausschließen. Eine besondere Rolle mißt Belarus der Entwicklung der wirtschaftlichen und ökologischen Tätigkeit der OSZE bei.

Wie sollte sich Ihrer Meinung nach die künftige Zusammenarbeit in der GUS gestalten?
Die Führer der Länder der GUS erkennen ungeachtet der Schwierigkeiten und gewisser Enttäuschungen über die Möglichkeiten, die der GUS innewohnen, an, daß deren Existenz notwendig ist, und sie suchen nach optimalen Wegen zu einer schrittweisen Integration. Die Staatschefs der Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft haben auf ihrem Gipfel am 2. April 1999 in Moskau ein Paket von Dokumenten zur Verbesserung der Arbeit der GUS und zu deren Reform angenommen. Auf der Sitzung des Rates der Regierungschefs am 4. Juni 1999 in Minsk wurden Fragen über die Grundrichtungen zur Umsetzung des Beschlusses über die Gestaltung der Freihandelszone vom 2. April 1999 sowie die Entwürfe über das Exekutivkomitee und den Wirtschaftsrat der GUS erörtert.
Eine fortschreitende Integration auf allen Ebenen - der zwischenstaatlichen, wirtschaftlichen, militärpolitischen - wird heute vor allem von Belarus und Rußland initiiert. 1996 haben unsere Länder den Gründungsvertrag über die Gemeinschaft geschlossen und sie 1997 in eine Union transformiert. Grundprinzip der weiteren belarussisch-russischen Integrationsprozesse ist die umfassende und unbedingte Gleichberechtigung des belarussischen und des russischen Staates. Der Aufbau einer stabilen belarussisch-russischen zwischenstaatlichen Vereinigung ist Kernstück des breiten Grundmodells der wirtschaftlichen, politischen, rechtlichen und anderer Integrationsmechanismen im postsowjetischen Raum.

Wird Ihr Land im Verteidigungsbündnis der GUS bleiben?
Der Vertrag über die kollektive Sicherheit der GUS-Länder wurde am 15. Mai 1992 in Taschkent unterzeichnet. Der Oberste Sowjet der Republik Belarus hat im April 1993 beschlossen, diesem Vertrag beizutreten. Der Vertrag wurde am 2. April 1999 in Moskau für weitere fünf Jahre unter Beteiligung Armeniens, der Republik Belarus, der Russischen Föderation, Kasachstans, Kyrgysstans und Tadschikistans verlängert.


"Moskau wird einen neuen eisernen Vorhang nicht akzeptieren"
von
Juri Luschkow, Regierender Bürgermeister, Moskau


Mit ihrem Krieg gegen Jugoslawien hat die NATO gegen das Völkerrecht verstoßen und die internationalen Organisationen beiseite gedrängt; gleichzeitig hat sie mit ihrer neuen Militärdoktrin auch ihr Einsatzgebiet vergrößert. Der Moskauer Regierende Bürgermeister Juri Luschkow sieht in der NATO den größten Belastungsfaktor für die Beziehungen zum Westen. Aber trotzdem solle Rußland nicht erneut einen eisernen Vorhang errichten. Seiner Ansicht nach wird nur ein starkes Rußland die Anwendung militärischer Gewalt erheblich erschweren. Daher müsse künftig der Bedarf des militärindustriellen Komplexes gedeckt und die Verteidigungsfähigkeit des Landes aufrechterhalten werden. Zudem sollten neue Elemente einer Weltordnung entwickelt werden.


"Eine multipolare Welt wird nicht von selbst entstehen"
von
Andrej Kokoschin, ehemaliger stellvertretender russischer Verteidigungsminister und Sekretär des Sicherheitsrates, heute Vizepräsident der Russischen Akademie der Wissenschaften


Der NATO-Gipfel im April in Washington hat die neue Rolle der Nordatlantischen Allianz festgeschrieben. Die NATO-Bombardements auf Jugoslawien haben gezeigt, daß die NATO weltweit ohne UN-Mandat handelt. Rußland muß angesichts dieser qualitativ neuen Situation seine Haltung überdenken und Maßnahmen für die eigene Sicherheit ergreifen. Andrej Kokoschin, ehemaliger stellvertretender Verteidigungsminister Rußlands und Sekretär des Sicherheitsrates, plädiert für die Bildung eines starken Bündnisses seines Landes mit China und Indien, für den Ausbau der Nuklearstreitkräfte und die Modernisierung der Armee sowie für die forcierte Entwicklung der Wirtschaft durch eine verstärkte Zusammenarbeit von Staat und Privatwirtschaft nach japanischem Muster.


Kosovo - Probe für die ukrainische Neutralität
von
Alexander Dergatschow, leitender Wissenschaftler im Institut für politische und ethnonationale Forschungen der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine


Der Krieg gegen Jugoslawien hat die Außenpolitik der Ukraine in eine schwierige Lage gebracht. In der Vergangenheit um Neutralität und gleichermaßen gute Beziehungen zu Rußland und dem Westen bemüht, hatten sich Präsident Kutschma und seine Regierung stärker auf eine Annäherung an den Westen orientiert. Die NATO-Angriffe auf Jugoslawien haben den Präsidenten in eine innenpolitisch schwierige Situation gebracht, da die breite Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung die Angriffe ablehnt und sich in ihrer negativen Einschätzung des Westens bestärkt fühlt. Letztlich steht damit kurz vor der Präsidentschaftswahl die Außenpolitik das einzige positive Element der Kutschmaschen Politik in der Kritik. Es bleibt die Frage, ob die Ukraine in absehbarer Zukunft ihre Position der Neutralität und Nichtpaktgebundenheit bewahren kann.


In der GUS effiziente, gleichberechtigte Beziehungen entwickeln
von
Pjotr Iwanzow, stellvertretender Direktor der Abteilung "GUS I" im russischen Außenministerium


Auch weiterhin sieht Rußland im Unterschied zur Ukraine, Usbekistan oder Turkmenistan die GUS als Subjekt des Völkerrechts und als vollwertige Gemeinschaft für eine Integration. Zwar hat die GUS mit Problemen zu kämpfen und arbeitet bei weitem nicht so effektiv, wie es gewünscht wird, aber Rußland geht davon aus, daß man die Zusammenarbeit der Länder auf der Basis gleichberechtigter und gegenseitig vorteilhafter Beziehungen und gerade auch mit Blick auf die Wirtschaft verbessern kann. Entwicklungen wie die angekündigte Nichtverlängerung des Vertrages über die kollektive Sicherheit durch Aserbaidschan, Georgien und Usbekistan bewertet man dagegen als nicht so dramatisch.


Die ukrainischen Dimensionen der Krise der GUS
von
Alexander Dergatschow, leitender Wissenschaftler im Institut für politische und ethnonationale Forschungen der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine


Die Ukraine hat aufgrund ihrer geopolitischen Lage das Interesse, die Beziehungen zwischen dem europäischen und euroasiatischen Raum zu fördern. Doch dem steht entgegen, daß sie in beiden Räumen eine Außenseiterrolle spielt. Im europäischen, weil sie in ihren Reformen hinter den anderen mittel- und osteuropäischen Staaten zurückgeblieben ist, im euroasiatischen, weil sie sich stets von der GUS abgegrenzt hat, vor allem auch um dem russischen Führungsanspruch zu begegnen. Die Gemeinsamkeiten der Mitglieder der GUS, die vor allem aus ihrer gemeinsamen Geschichte in der Sowjetunion resultieren, werden sich mit den Jahren verflüchtigen, daher muß sich die Ukraine über kurz oder lang für einen eigenen Entwicklungsweg entscheiden. Von den Reintegrationstendenzen in der Gemeinschaft hat sie sich stets abgesetzt, aber bisher fehlen in der Ukraine noch die politischen und wirtschaftlichen Eliten, die einen eigenständigen Weg vorantreiben könnten.


Russisch-ukrainische Beziehungen im Zeichen der Balkanereignisse
von
Michail Laikow, freier Journalist, Moskau


Das Verhältnis zwischen Moskau und Kiew ist widersprüchlich. Einerseits strebt die Ukraine die Zusammenarbeit mit der NATO und vor allem der Europäischen Union an, andererseits ist sie aber eng verwachsen mit Rußland, nicht nur wirtschaftlich und im militärindustriellen Bereich, sondern vor allem auch aufgrund des hohen Bevölkerungsanteils von Russen in der Ukraine und Ukrainern in Rußland. Dies wurde in bezug auf den Kosovokonflikt besonders deutlich. Die Bevölkerung in beiden Ländern ist den NATO-Bombardements gegenüber äußerst negativ eingestellt, während sich die Haltungen der Regierungen beider Länder deutlich unterscheiden. Doch tatsächlich scheinen heute eher die innenpolitischen Fragen und die anstehenden Wahlen das Verhältnis beider Staaten beziehungsweise ihrer Politiker zu bestimmen.


Der Jugoslawienkonflikt im Spiegel russischer Meinungen
von
Wladimir Petuchow, Leonti Bysow, Russisches unabhängiges Institut für soziale und nationale Probleme, Moskau


Die russische Öffentlichkeit hat in ihrer großen Mehrheit im Balkankonflikt Jugoslawien unterstützt, den NATO-Krieg als offene Aggression gegen Jugoslawien verurteilt und vor allem als Aktion gesehen, mit der der Westen der Welt vor Augen führen wollte, "wer der Herr ist”. Die Verantwortung für den Ausbruch des Konflikts tragen nach Meinung der Mehrheit der Russen die NATO und die USA. In ihren Einschätzungen unterscheiden sich die Russen also grundlegend von der Öffentlichkeit der westlichen Länder. Doch hat diese Haltung weniger mit der im Westen oft beschworenen slawisch-orthodoxen Brüderlichkeit zu tun. Sie ist vielmehr Ausdruck der Beziehung der Russen zum Westen und zur eigenen nationalen Identität.


Geopolitische Einflüsse und die Einheit der belarussischen Nation
von
Nikolai Statkewitsch, Vorsitzender der Belarussischen Sozialdemokratischen Partei "Narodnaja wolja" ("Wille des Volkes")


Belarus liegt zwischen Europa und Rußland, und die Diskussionen um die Ausrichtung in Richtung West oder Ost prägen das politische und gesellschaftliche Leben. Während sich die Anhänger einer Westorientierung Investitionen in die Wirtschaft und den Erhalt der Unabhängigkeit des Landes versprechen, träumen die Anhänger der Ostorientierung und der belarussisch-russischen Integration von einem stabilen und hinlänglich reichen Leben wie zu Sowjetzeiten. Die politische Führung des Landes um Präsident Lukaschenko orientiert sich verstärkt auf den russischen Nachbarn. Der Vorsitzende der belarussischen Sozialdemokraten sieht dagegen Chancen seines Landes vor allem in der Bewahrung seiner Transit- und Bindegliedfunktion zwischen Ost und West. Um aber eine solche Position einnehmen zu können, muß der große Einfluß Rußlands in Belarus konfliktfrei zurückgedrängt werden. Dies ist seiner Ansicht nach nur für ein Land in Europa möglich, nämlich für Deutschland.


Frauen in der russischen Politik
von
Olga Sdrawomyslowa, Soziologin, Moskau


Die Frauenquote in den russischen Machtstrukturen ist gering. Insgesamt ist sie heute sogar niedriger als zu Sowjet- beziehungsweise Perestroikazeiten, wo Frauen formal in allen Bereichen gleichberechtigt waren. Frauen nehmen nach Ansicht der Bevölkerung eine führende Stellung in der Familie ein und spielen eine wichtige Rolle im Berufsleben. Allerdings gibt es tiefsitzende Vorurteile gegenüber Frauen in Führungspositionen, vor allem in der Politik. Aber auch wenn Frauen erst zum geringsten Teil tatsächlich in leitenden politischen Positionen sind, prägen sie heute bereits das Bild der "Berufspolitikerin", und man kann in Rußland heute von einer Gruppe Politikerinnen reden, die bestimmte Typen aufweist.


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