|
Baisun Bahori - Baisuner Frühling
(Alle Fotos in diesem Spezial entstanden in Moskau, während der Tage der Stadt am ersten Septemberwochenende)
Mit dem Übergang zur Marktwirtschaft besiegte wie allgemein erwartet die Trivialliteratur auch in Rußland die literarische Prosa. Letztere wurde schlichtweg an den Rand gedrängt. Die britische Zeitung "The Guardian" fällte in einem Beitrag über die britische Literatur einst ein hartes Urteil: "Da ist nichts, was einen in Aufregung versetzt." Und es scheint in der Tat, daß sich die russische Kultur und Literatur, seit Rußland begonnen hat, sich wieder ins internationale Leben zu integrieren, nach den gleichen Gesetzen entwickeln wie die westliche. Viele Schriftsteller streben heute danach, den Massenmarkt zu erreichen, sie produzieren eine Erzählung nach der anderen. In den frühen 90er Jahren machte es viele Autoren von Massenliteratur noch verlegen, unter ihrem eigenen Namen zu veröffentlichen, in der Regel nutzten sie ein Pseudonym. Heute hingegen ist es in der intellektuellen Elite irgendwie modisch geworden, die Popkultur und Werke anderer populärer Genres anzuerkennen. Das Beispiel Viktor Pelewins ist in dieser Hinsicht typisch und außergewöhnlich zugleich. Er war einer der ersten in Rußland, der erklärt hatte, sämtliche Genreformen zu nutzen, sich an ein breites Publikum zu wenden und dieses auch für sich einzunehmen (seinerzeit schien es mir in hohem Maße unwahrscheinlich, daß er damit erfolgreich sein könnte). Pelewin hat uns alle eines Besseren belehrt. Er war jedoch einer der wenigen, der nie auch nur einen seiner literarischen Werte und Ansprüche für die Erreichung dieses Ziels aufgegeben hat. Und heute erfreuen sich unterschiedlichste Kategorien von Lesern an seinen Büchern. Jede Kategorie nimmt den Autor ihrem eigenen Niveau und ihren eigenen Vorstellungen entsprechend wahr. Nur wenige der jungen Autoren, die ihm nacheiferten, haben es geschafft, diese Ausgewogenheit zu erreichen: entweder litt die Qualität ihres Schreibens oder aber sie erreichten das breite Publikum nicht. Auch Akunin ist eine symptomatische Figur des gegenwärtigen russischen Literaturbetriebes. Hinter diesem Pseudonym verbirgt sich ein anspruchsvoller Intellektueller, der sich sehr bewußt entschieden hat, für das breite Publikum zu schreiben. Mit überwältigendem Erfolg, wie wir alle verfolgen können. Gerade weil er ein hochintelligenter Mensch und ein guter Psychologe ist, vermag er, den einfachen Geist in Staunen zu versetzen. Seinem Beispiel folgte - mit sehr unterschiedlichem Erfolg - viele verheißungsvolle junge Autoren. Literarische Prosa muß heute neben der Massenkultur existieren. So versuchen junge Autoren auch weiterhin, die Kluft zwischen beiden zu überwinden: sie greifen in zunehmenden Maße populäre Literaturformen auf und nutzen jedes nur erdenkliche Mittel der Selbstinszenierung und Eigenwerbung. Der Skandal ist das beliebteste und zugleich wirksamste Mittel, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zu ziehen. Als Wladimir Sorokin, unser russischer Marquis de Sade, beschuldigt wurde, Werke pornographischen Inhalts zu verbreiten, als seine Bücher in theatralischer Inszenierung von der Jugendbewegung "Die Gemeinsam Gehenden" vor dem Bolschoi Theater in eine Papptoilette geworfen wurden, führte dies nur dazu, die Beliebtheit Sorokins und das Interesse an seinen Werken zu steigern. Dabei in einem solchen Maße, daß sogar sein Verleger bemüht war, den Skandal so breit wie möglich zu streuen. Der Literaturbetrieb in Rußland ist heute wie das Showgeschäft organisiert: mit bunten Präsentationen und Wettbewerben, mit Beliebtheitsskalen und Quizsendungen. Seriöse Schriftsteller leiten heute Fernsehshows und geben sich für die Werbung irgendwelcher Produkte her. Der Einfluß des Westens auf die junge Schriftstellergeneration ist offenkundig. Allerdings ist anzumerken, daß dies vor allem die Formen und Verfahren und weniger die Inhalte, die tieferen in der Literatur ruhenden Fragen betrifft. Da unsere Literaten die Bedingungen in ihrem eigenen Land betrachten und das einheimische "Material" nehmen, bleiben ihre Werke in Geist und Stil einmalig und unverwechselbar russisch. Es sei an dieser Stelle auch daran erinnert, daß die gefeierten russischen Klassiker des 19. Jahrhunderts sich den klassischen französischen Roman zum Vorbild nahmen, ohne daß dies der Originalität, der Besonderheit und der Bedeutung ihrer Werke etwas genommen hätte. Erst vor kurzem haben einige Verlagshäuser - wenn auch vorsichtig - begonnen, literarische Prosaserien aufzulegen. Sie verbanden damit die Hoffnung, daß sich einige der Bücher durchsetzen, weit verbreitet und somit Gewinn erwirtschaften werden. Und in der Tat ging diese Rechnung in bezug auf einige Autoren auf - darunter mit Werken von Pelewin und Ludmilla Ulitzkaja, die wohl die im Westen bekanntesten russischen Autoren sind. Aber wir von "Glas" konzentrieren uns ausschließlich auf qualitativ gute literarische Prosa - auf die neuen ebenso wie auf die "übersehenen" Klassiker des 20. Jahrhunderts, insbesondere der 20er und 30er Jahre. Aufgrund des allgemein gesunkenen Interesses an russischer Literatur und auch aufgrund des Mangels an verläßlichen Informationen beachteten ausländische Verleger diese in den letzten Jahren nur wenig. Deutschland ist nach der Zahl der herausgegebenen russischen Titel nach wie vor führend, doch auch hier wurden viele hervorragende Autoren nicht veröffentlicht. Verweisen möchte ich auf so starke Schriftstellerinnen wie Olga Slawnikowa, Natalia Smirnowa, Margarita Scharapowa, Anastassija Gostejewa, Maria Arbatowa, Nina Gabrelijan und Larissa Miller, um nur einige zu nennen. Sie alle haben in Rußland bereits hohe literarische Auszeichnungen erhalten, und jede von ihnen ist auf ihre Weise originell. Olga Slawnikowa beispielsweise hat ihre sehr besondere Sicht auf die Welt. In ihren verwickelten und reichen Erzählungen richtet sie ihre Aufmerksamkeit auf eine Vielzahl alltäglicher Details. Sie findet präzise Worte und Metaphern, um jedes Detail so darzustellen, daß uns unsere Welt als ein strahlendes Mosaik voller Schönheit und Weisheit erscheint. Ihre Vorstellungskraft und die Genauigkeit ihrer Vergleiche sind außergewöhnlich, die Handlung ist klar und einfallsreich und spiegelt ihren Intellekt wider. Die überaus "schnellebigen" Geschichten von Margarita Scharapowa sind oft in der Zirkuswelt angesiedelt, wobei die Straße stets das Verbindungsglied ist. Ihre Helden sind neben Artisten Zigeuner, unveröffentlichte Autoren, Alkoholiker, Obdachlose. Alle werden von ihren Gefühlen getrieben, von ihrem eigenen Sinn für Pflichten und Aufgaben, der ihnen ihre innere Freiheit bewahrt. Das Thema Liebe und Grausamkeit gegenüber Tieren dient in vielen ihrer Werke geradezu als Prüfstein für menschliche Werte. Maria Arbatowa ist eine der führenden feministischen Autorinnen, deren Werke in sehr hohen Auflagen herausgegeben werden. Nicht zuletzt, weil russische Frauen sich - wenn auch verspätet - dem Feminismus nähern und es zurückweisen, als "Abhängige" in der Familie und als zweitrangige Bürger wahrgenommen und behandelt zu werden. Arbatowa ist scharfzüngig und gnadenlos in ihren Porträts der russischen - män-nerdominierten - Welt. In der modernen Literatur findet man weiterhin viel Gogolsche Tradition. Hier wurden wirklich exzellente Schriftsteller schlicht übersehen. So zum Beispiel Valeri Ronschin, ein Meister des schwarzen Humors mit einem Schuß philosophischer Parabel. Dann Alexander Selin, den die Kritiker einen "modernen E.T.A. Hoffmann" nennen. Der Tod ist bei ihm allgegenwärtig, wenngleich er in merkwürdigen Gestalten auftritt. Verweisen will ich zudem auf Alexander Pokrowski, dessen Dienst in der Marine in eine Reihe von Erzählungen im Stile Soschtschenkos mündete. Lustig sind sie, und furchteinflößend zugleich. Sie geben uns einen Einblick in die repressive Männerwelt auf einem Atom-U-Boot und den Zustand der russischen Flotte. Traditioneller Realismus und literarische Sachbücher sind weiterhin stark vertreten. Viele der "neuen" Autoren arbeiten in diesen Bereichen. Festzustellen ist, daß sie immer mehr von Verlegern wie auch bei der Vergabe von Literaturpreisen bevorzugt werden. Aber sollen die Verleger selbst derlei Werke bewerben - was wirklich bewahrt und gefördert werden muß, ist die innovative und experimentelle Literatur. Im Laufe der russischen Literaturgeschichte können wir uns die Namen vieler Schriftsteller ins Gedächtnis rufen, die nicht bereits zu ihren Lebzeiten von einem breiten Publikum gelesen oder von der Kritik als wegweisende Schriftstellerpersönlichkeit erkannt wurden. Es genügt, auf Boris Pasternak, Michail Bulgakow und Jossif Brodski zu verweisen. Es ist für das heutige Rußland ganz typisch, daß sich ein Werk, Jahre nachdem es geschrieben wurde - und wenig beachtet blieb -, plötzlich einer unerklärlichen Nachfrage erfreut. Dies betrifft auch die meisten unserer heutigen Literaturstars. In den literarischen Kreisen waren sie oft bereits in den frühen 90er Jahren bekannt. Doch wurde in diesen, der Zensur folgenden Jahren eine solche Vielfalt früher verbotener und verbannter Literatur veröffentlicht, daß neue Schriftsteller schlicht nicht beachtet wurden. Die staatliche Unterstützung der Kultur wurde letztlich Ende der 80er Jahre zusammen mit der Zensur aufgegeben. Dies gab den Schriftstellern zwar die Freiheit, zu schreiben, was und wie sie wollen, gleichzeitig aber wandte sich das öffentliche Interesse der Massenkultur zu. Die literarische Prosa verlor ihr Ansehen. Aber die 90er Jahre haben trotzdem eine reiche und unterschiedliche Literatur hervorgebracht. In vielerlei Hinsicht hat diese Periode vieles mit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts gemeinsam: das Land befand sich wieder einmal in den Wehen gewaltiger Umwälzungen, die den Verlust früherer Idole und das Infragestellen anerkannter Werte zur Folge hatten und zugleich das Ausprobieren neuer Ideen beförderten. Alle möglichen Arten von produktiven wie seltsamen Theorien und Bewegungen kamen auf. Der Postmodernismus koexistierte mit allen Arten von "Realismus": Magie, Schmutz und Surrealismus. Die Schriftsteller gründeten eigene Verlage, Druckereien, Buchläden und Literaturklubs, um ihre Leser zu erreichen und trotz des fehlenden öffentlichen Interesses an "neuer Literatur" irgendwie ihr Auskommen zu haben. Literarische Prosa wurde lediglich in Kleinstauflagen gedruckt. Die Menschen waren viel zu sehr damit beschäftigt, ihre Kenntnisse zu vervollkommnen, indem sie die früher verbotene Literatur, die nun in Billigausgaben publiziert wurde, geradezu verschlangen. Das literarische wie das künstlerische Leben waren so lebendig wie nie zuvor, aber angesichts der Vielfalt fühlten sich sowohl Kritiker wie auch Leser und Kunstfreunde völlig desorientiert. Ich gebrauche hier bewußt die Vergangenheitsform, obwohl wir vieles von dem erwähnten längst nicht überwunden haben. Aber die Periode ist irgendwie auch vorbei, und die gefährdete Freiheit des Selbstausdrucks hat sich ins Internet verlagert, wo die neue Literatur einen Aufschwung erlebt und sich sicher fühlt. Haben die 90er Jahre nun künstlerische und schriftstellerische Giganten hervorgebracht? Die Zeit wird es zeigen. In den 20er Jahren war sich die breite Öffentlichkeit der stattfindenden großen künstlerischen Entwicklungen gar nicht bewußt. Aus vielen Memoiren wissen wir, daß damals wie heute die Kritik ein breites Spektrum von Meinungen zu dem einen oder anderen Autor, zu dem einen oder anderen Phänomen hervorbrachte. Es gab viele Vorhersagen über die Zukunft des einen oder des anderen Schriftstellers - oft lagen die Kritiker völlig falsch. Aus diesem Grunde muß jeder nur mögliche Versuch gemacht werden, um das zu bewahren, was man persönlich als wichtiges literarisches Werk ansieht. Das ist genau das, was wir bei "Glas" versuchen - wir schaffen eine Galerie von Namen, die aus unserer Sicht eine Zukunft haben. Wir wollen damit der einheimischen Kritik ebenso wie ausländischen Verlegern helfen, sich zu orientieren. Einige der Autoren, die wir in englischer Übersetzung Anfang der 90er Jahre veröffentlicht haben, sind zuvor in Rußland kaum veröffentlicht worden - heute werden die meisten von ihnen als wichtige Autoren anerkannt. Jemand muß unseren literarischen Schatz bewahren, bis es eine Nachfrage danach gibt. Das hat man früher getan, das wird man in Zukunft tun.
Ende 2000 erschien im Verlag "Rosmen" zum ersten Mal in russischer Sprache und in einer Auflage von 30000 Exemplaren "Harry Potter und der Stein der Weisen" - der erste Band der Potter-Reihe von Joanne K. Rowling. Dann entwickelten sich die Ereignisse zunächst wie überall in der Welt: Erfolg bei Kindern und Erwachsenen, die Auflagen stiegen, wurden höher und höher, es brach eine "Pottermanie" aus, das Buch schlug alle Verlagsrekorde. Zwei Jahre später erklärte der Verlag, daß die Gesamtauflage der vier bis dahin verlegten Bücher bereits eine Million Exemplare überstiegen habe. Und ebenfalls wie im Westen entstand ein ganzer Geschäftsbereich rund um Harry Potter: Schultagebücher, Spielzeuge, Ansichtskarten, Kalender, Karten und dergleichen mehr spülten Geld in die Kassen. Potter gegen Grotter Die zweite Besonderheit der russischen "Pottermanie" ist allerdings von mehr Gewicht: zwei Buchprojekte, die beide auf die eine oder andere Weise die Figur Harry Potter "nutzten" und hart an der Grenze zwischen Parodie und Plagiat balancierten, entwickelten sich stürmisch. In englischer Sprache und, wie ich meine, auch in deutscher Sprache sind Parodien auf Rowling und Tolkien erschienen. Doch die Herausgabe der Tanja-Grotter-Bücher hat nicht nur alle früheren ähnlichen Projekte in den Schatten gestellt, sondern das Potter-Original selbst übertroffen. Dmitri Jemez ist 29 Jahre alt, ein sehr produktiver Schreiber und Absolvent der Philologischen Fakultät der Moskauer Staatlichen Universität. Bevor er sich der Dichtung à la Harry Potter hingab, war er einer von zahllosen und wenig bekannten Schreiberlingen, die phantastische Literatur für Kinder produzierten. Auf der Erfolgswelle der Potter-Romane Mitte 2002 kam beim russischen Verlagsgiganten "Eksmo" sein erstes "nachahmendes" Buch unter dem Titel "Tanja Grotter und der magische Kontrabaß" heraus. Die Erstauflage lag bei 40000 Exemplaren, 10000 Bücher mehr, als sich "Rosmen" beim ersten Potter-Buch getraut hatte. Zweifellos enthielt der Grotter-Roman Züge einer Parodie, wiederholte er doch mit äußerst provokativer Ausführlichkeit das Potter-Sujet. Sogar der Umschlag war ein Spiegelbild des Originals. Erinnern Sie sich? Harry flog auf einem Besen in einen mittelalterlichen Säulengang hinein, Tanja flog ebenfalls in einen solchen Säulengang hinein, wenn auch auf einem Kontrabaß. Alle Eigennamen aus dem Potter-Buch sind parodistisch umgedreht und gleichzeitig durch russische Wurzeln etymologisiert - angefangen bei dem der Heldin selbst. Die Schule für Zauberkunst heißt im Original Hogwards, in der russischen Variante Tibidoks; der böse Zauberer heißt bei Rowling Voldemort, die böse Zauberin bei Jemez Tschuma-del-Tort. Es gab in der Tat Parallelen zum russischen Märchen. Tanja Grotter ist ein kleines Zauberkünstlermädchen. Sie wurde zur Waise, nachdem ihre Eltern von einer bösen Zauberin vernichtet wurden. Dies hinterläßt ein Mal auf ihrem Gesicht - wenngleich keine Pottersche Narbe auf der Stirn, sondern ein Muttermal an der Nase. Großgezogen wird das Mädchen im Haus ferner Verwandter, wo sie ihre magischen Begabungen entdeckt und die Schule für Zauberkunst besucht... und weiter siehe den Rowling-Text. Auch wenn die Parodie einen gewissen Scharfsinn voraussetzt, so gelang Jemez im ersten Grotter-Band doch nur eine ziemlich eintönige Wiederholung aller Sujet-Biegungen von Rowling. Wie auch immer - das Buch wurde ein Riesenerfolg. Kaum jemand - außer Jemez selber - wird die Behauptung wagen, daß der Erfolg von "Tanja" allein auf den Geist und das Talent des Autors zurückzuführen sei und Rowling damit gar nichts zu tun habe. Zum Unglück der Britin erwies sich Jemez jedoch als der gewandtere, sprich schnellere Schriftsteller. Anfang 2003 kamen zwei weitere Bücher über Tanja in die Buchläden, und die Auflagen erreichten eine halbe Million. Für den Hörfunk wurden zwei Hörspiele aufgezeichnet. Im Frühling erschien dann der vierte und Anfang Juni der fünfte Band (letzterer wurde übrigens in einer Erstauflage von 150000 Exemplaren herausgegeben). Geplant war die Veröffentlichung übrigens erst für September. Doch Jemez, der sich in einem Zustand permanenter Schreibbegeisterung befand, gab sein Manuskript einige Monate früher ab. Nach der Veröffentlichung überstieg die Gesamtauflage der Jemez-Bücher eine Million. Damit hat er Rowlings Auflagen in Rußland zu dieser Zeit eingeholt. Wie bekannt, kam die englische Ausgabe von Band 5 der Potter-Reihe am 21. Juni zum Verkauf. Jemez erklärte zudem, er plane insgesamt acht Grotter-Bände. Die Britin ist bescheidener - es ist bekannt, daß sie ihrem Harry sieben Bände widmen will. Überlegt sie es sich jetzt vielleicht anders und legt einen achten Band vor, um so umgekehrt Tanja Grotter zu parodieren? Im April kam es in Amsterdam zum Prozeß. Klage gegen "Byblos" erhoben hatten die Rowling-Anwälte - der Klagegrund: Plagiat. Das Gericht urteilte salomonisch: "Tanja Grotter" sei kein Plagiat, die Veröffentlichung in den Niederlanden werde jedoch verboten. Der Verlag legte Berufung ein, berief eigene Fachleute - Professoren für russische Sprache und Literatur - und will beweisen, daß Grotter und Potter in keinerlei Weise miteinander verbunden sind. Wer ist Porry Gatter? Zu einem aus literarischer Sicht vollkommeneren Buchprojekt, das die Rowling-Figur nutzt, wurde das Buch "Porry Gatter und der steinerne Philosoph", das die belarussischen Journalisten Andrej Jawlewski (34 Jahre) und Igor Mitko (36 Jahre) vorlegten. Es wurde im November 2002 in einer Auflage von 30000 Exemplaren herausgebracht, schon im Dezember folgten weitere 30000 Exemplare. Porry Gatter ist ein ganz gewöhnlicher Junge, der in einer glücklichen Zaubererfamilie zur Welt kommt. Sehr zum Ärger seiner Eltern verfügt er über keine magischen Eigenschaften. Zu dieser Zeit zittert die Zaubererwelt vor dem gar mächtigen Lord Mordewolt, einem abtrünnigen Zauberer, der die Zukunft der Menschheit im wissenschaftlich-technischen Fortschritt sieht und - folgerichtig - alle Zauberer in "mudli", also in Tröpfe, in einfache Menschen, die nicht zaubern können, verwandeln will. Doch der Versuch der "Entzauberung" des kleinen Porry endet für den Lord fatal: Mordewolt verliert seine magischen Kräfte, sie gehen auf Porry über. Es vergehen elf Jahre. Statt aber wie alle normalen Zauberer zu zaubern, zu beschwören und zu verzaubern, lötet Porry Antigraviatoren, versucht sich in chemischen Experimenten und verwandelt seinen eigenen Zauberstab in einen Protonenstrahler. In die Zauberkunstschule kommt Gatter mit dem Wunsch, sich so schnell wie möglich in die Fachschule für Kommunikationen versetzen zu lassen. Sein Ziel: ein "harter Hacker wie der Kusen Iwan in Kanada" zu werden. Der Roman ist voller Witze und Anspielungen, angefangen bei den Namen - Saddam Hussain, Byn Laden und Jecki Chan - bis hin zum obersten Boß des russischen Energiesektors Anatoli Tschubais. Mit der Zauberformel "Tschubabais" kann man den Strom im Umkreis von fünf Kilometern ausfallen lassen. Die Eigennamen in diesem Buch klingen an die Namen im Rowling-Buch an, und werden wie bei Dmitri Jemez etymologisch in russischen Wurzeln umgedacht. Nur: die Belarussen können es sehr viel besser. Allein der Name des bösen Zauberers gibt schon viel her - Mordewolt -, das russische "morda" bedeutet Fratze, Visage, und "wolt" ist die Meßeinheit für Strom, genauso auch die "mudli", die Einfaltspinsel, die einfachen Leute, das vom groben russischen Schimpfwort "mudak" ("Mistkerl") hergeleitet ist. Auch die Parodie des Sujets ist überaus gut gelungen, das Buch wiederholt Rowling nicht blindlings, sondern verspottet es mit großem Erfolg -und nicht nur Potter, sondern das ganze Genre der phantastischen Literatur. Auch diese beiden Autoren denken jetzt daran, weiterzumachen. Das zweite Buch der Porry-Gatter-Reihe ist unter dem Titel "Die Personalakte von Mergione Payger oder Vier Teufelsdutzend", Untertitel "Ein postmodernistisches Märchen" bereits erschienen. Am dritten Band wird gearbeitet. Angefügt sei noch, daß der russische Verlag "Rosmen", der alle Rechte an der Harry Potter-Figur in Rußland hält, keine Regressansprüche gegenüber den Belarussen geltend macht. Nach den Worten eines "Rosmen"-Vertreters ist "Porry Gatter" eine Parodie auf sehr hohem Niveau - vergleichbar mit parodistischen Hollywoodkomödien. Aber - auch gegen Dmitri Jemez hatte niemand Ansprüche erhoben - bis sein drittes Buch erschien und die Auflagen eine halbe Million überschritten. Nun, warten wir ab, was die Interessenvertreter von Joanne Rowlings sagen, wenn die Belarussen den fünften oder gar sechsten Gatter-Band vorgelegt haben werden.
|