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Solidarität mit einem "Weißen Fleck" auf der Landkarte [ Volltext ]


Solidarität mit einem "Weißen Fleck" auf der Landkarte
von
Peter Franke, Redakteur der Zeitschrift "Wostok", Berlin


Im Juli 1998 wurde von deutschen Sozialdemokraten das "Solidaritätskomitee für Belarus" gegründet. Ziel des Komitees ist die Unterstützung der demokratischen Kräfte in der Republik Belarus und insbesondere der Belarussischen Sozialdemokratischen Partei (BSDP).

Besuch der Gedenkstätte Chatyn
 
Neben der Schaffung eines internen Informations- und Abstimmungsverfahrens hat das Solidaritätskomitee für Belarus vor allem zwei Projekte beschlossen: Einmal jährlich treffen sich belarussischen Sozialdemokraten mit ihren sozialdemokratischen Partnerortsvereinen in Deutschland; einmal im Jahr fahren deutsche Sozialdemokraten zu ihren Partnern nach Belarus, um sich vor Ort über die Situation im Land zu informieren und Gespräche mit allen relevanten politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Kräften zu führen. Dabei reichen die Kontakte über die sozialdemokratischen Parteigrenzen hinaus, und Besuche in Betrieben und Hochschulen gehören ebenso zum Programm wie Treffen mit anderen Parteien, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Vertretern der Macht.

So machte sich am 10. Juni eine fünfzehnköpfige Gruppe vom Bahnhof Berlin-Lichtenberg aus auf die sechzehnstündige Zugfahrtnach Belarus, um sich eine Woche lang im Land über die politische und gesellschaftliche Situation zu informieren, neue Kontakte zu knüpfen, alte zu intensivieren, über mögliche gemeinsame Projekte zu sprechen und Formen der künftigen Zusammenarbeit vor allem in der Provinz zu prüfen.

Auf die Gruppe wartete ein vollgepacktes Programm: Exkursionen, Diskussionen und Gespräche sowohl in Minsk als auch in den einzelnen belarussischen Gebieten. Wichtig war allen, den Besuch nicht nicht nur auf die Hauptstadt zu begrenzen, sondern die Kontakte zu den Gebieten auszubauen oder neue zu knüpfen.

Besucht wurde die Gedenkstätte in Chatyn, die an die Millionen belarussische Opfer des Überfalls Deutschlands auf die Sowjetunion gemahnt, und auch Kurapaty, wo an die Opfer der stalinschen Repressionen erinnert wird.

Treffen mit Mitgliedern der unabhängigen Gewerkschaften in Nowopolozk
 
Über die Parteienlandschaft in Belarus und die Lage der Sozialdemokratie informierte der Vorsitzende der Sozialdemokraten Nikolai Statkewitsch. An diesem Gespräch nahmen auch die meisten Vorsitzenden der Gebietsorganisationen der BSDP teil. Ausführlich wurde auf die Zersplitterung der Parteienlandschaft und die Versuche der Opposition, sich im Vorfeld der anstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen auf ein gemeinsames Vorgehen zu verständigen, eingegangen. Schon zuvor war bei einem Besuch der Minsker Parteizentrale deutlich geworden, unter welch schwierigen materiellen Bedingungen die Sozialdemokraten, aber auch die meisten anderen Oppositionsparteien und -gruppen arbeiten. Dies wurde auch noch einmal deutlich bei der Diskussion mit Vertretern von Parteien, Gewerkschaften, Unternehmerorganisationen und NGOs. Viel wurde über die Wahlen, die Probleme in der Wirtschaft sowie die Frage, ob die Beziehungen des Westens zu Belarus normalisiert werden sollen, diskutiert.

Nikolai Statkewitsch, Vorsitzender der Belarussischen Sozialdemokratischen Partei
 
Über den Zustand der Pressefreiheit und der Menschenrechte informierte Botschafter Hans-Georg Wieck, der in Minsk für die OSZE versucht, in der Frage der Wahlen einen Ausgleich zwischen Präsident Lukaschenko und Regierung auf der einen und der Opposition auf der anderen Seite zu erzielen. Der deutsche Botschafter Winkelmann sprach über die deutsch-belarussischen Beziehungen. Nach den Besuchen an der privaten Europäischen Humanistischen Universität beziehungsweise in einem belarussisch-deutschen Gemeinschaftsunternehmen wurde die Treffen in den Gebieten fortgesetzt.

Bei den zahlreichen Gesprächen in der Provinz - geredet wurde mit Bürgermeistern, Vertretern von Menschenrechtsorganisationen, unabhängigen Medien und Gewerkschaften sowie mit Sozialdemokraten vor Ort - wurde vor allem deutlich, daß angesichts der schwierigen Bedingungen, unter denen die Opposition arbeiten muß, alle auf mehr Kontakte Richtung Westen hoffen und setzen. Kaum jemand ist überzeugt, daß die derzeitige Isolierung des Landes durch die westliche Politik innenpolitisch zu Verbesserungen führt. Vielmehr hofft man, daß durch mehr Kontakte und Zusammenarbeit auf einen "Wandel durch Annäherung". So erhofft man sich ein Umdenken vor allem in der Politik der westeuropäischen Staaten und wünscht sich Kontakte zu konkreten Partnern zum Beispiel in Deutschland.

In den Schlagzeilen taucht Belarus zumeist dann auf, wenn es bei den Protestmärschen der Opposition zu Verhaftungen kommt. Aber in diesem Jahr stehen in Belarus Parlamentswahlen und Anfang 2001 Präsidentschaftswahlen an. Oppositionelle wie der frühere Premierminister Michail Tschigir und der Vorsitzende der Sozialdemokraten Nikolai Statkewitsch sehen sich bereits jetzt langwierigen Strafverfahren ausgesetzt und werden so schon im Vorfeld an einer möglichen Kandidatur für das Parlament oder die Präsidentschaft gehindert. Statkewitsch wurde wenige Tage nach Abreise der Delegation wegen der Organisation einer Demonstration am Unabhängigkeitstag zu zwei Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Die Urteilsverkündung war zuvor sehr kurzfristig verschoben worden, möglicherweise weil die deutschen Sozialdemokraten angekündigt hatten, daran teilnehmen zu wollen.

Der deutsche Botschafter in Belarus
Dr.Horst Winkelmann
 
Das Land ist seit dem umstrittenen und international nicht anerkannten Referendum im Jahre 1996, dem die Auflösung des frei gewählten Parlaments und die Etablierung eines dem Präsidenten genehmen Zwei-Kammern-Parlaments folgte, international isoliert. Belarus hat sich politisch Rußland stark angenähert und sogar eine gemeinsame Union mit dem großen Nachbarn gegründet, die allerdings in vielen Bereichen nur auf dem Papier steht. Die Präsident Lukaschenko zugeschriebenen Ambitionen auf eine Präsidentschaft in der gemeinsamen Union haben sich Anfang des Jahres mit der Wahl von Wladimir Putin zerschlagen, so daß sich Belarus derzeit in einer Phase der außenpolitischen Neuorientierung befindet. Will man künftig noch näher an Rußland heranrücken und vielleicht der achte Föderationsdistrikt oder vielleicht auch nur eines von 90 Föderationssubjekten werden oder öffnet man sich Richtung Westen.

Die Opposition - von den Sozialdemokraten bis hin zur Belarussischen Volksfront - setzen auf eine Öffnung Richtung Westen, und hofft, daß der Westen diese Situation tatsächlich als Chance begreift, um die Lage in Belarus positiv zu beeinflussen. Aber dies wird nur dann möglich sein, wenn es auf politischer und gesellschaftlicher Ebene möglichst viele Kontakte und Zusammenarbeit gibt und Belarus nicht ein weißer Fleck auf der Landkarte bleibt - unbeachtet und an den Rand gedrängt, in der vagen Hoffnung, daß sich der Präsident vielleicht eines Besseren besinnt.

Dr. Gabriele Kötschau, MdL, vom Solidaritätskomitee und OSZE-Botschafter Dr.Hans-Georg Wieck
 
Wie in den Gesprächen und Diskussionen deutlich wurde, ist das Spektrum der Opposition breit. Aber anders als in den letzten Jahren, als man sich stärker gegenseitig bekämpft hat als die politische Führung, scheinen derzeit die Differenzen im gemeinsamen Kampf gegen die politische Führung zurückgestellt worden zu sein. Wobei natürlich die Frage bleibt, ob es mehr gibt als diesen kleinsten gemeinsamen Nenner. Denn spätestens dann, wenn entschieden wird, ob man sich an der Parlamentswahl beteiligen soll oder nicht, könnte es zu Brüchen kommen, da die Frage der Wahlbeteiligung an einen gemeinsamen Forderungskatalog geknüpft wird, wie der Zugang zu den Medien und die Bildung einer unabhängigen Wahlkommission. So berechtigt diese Forderungen auch sind, wird Präsident Lukaschenko, der derzeit einen "Dialog mit den gesellschaftlichen Kräften" zur Vorbereitung der Parlamentswahl führt, an dem sich die Opposition mit Ausnahme kleinerer Parteien nicht beteiligt, wohl kaum auf alle Forderungen der Opposition eingehen. Bleibt aber die Opposition den Wahlen fern, bleibt die Isolation sicherlich eher bestehen - und Belarus rückt noch weiter aus dem Blickfeld Westeuropas. Dem können eigentlich nur Kontakte auf allen Ebenen entgegenwirken.
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