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BDWO - 60. Jahrestag der Schlacht um Stalingrad [ Volltext ]

BDWO
60. Jahrestag der Schlacht um Stalingrad

von
Stefan Calefice, Nadjeschda e.V., Berlin-Spandau


Der 60. Jahrestag der Schlacht um Stalingrad führte die 27 Teilnehmer zählende Delegation aus Spandau vom 30. Januar bis zum 6. beziehungsweise 11. Februar 2003 nach Wolgograd. An ihrer Spitze stand Bezirksbürgermeister Konrad Birkholz. Die Gruppe setzte sich aus Vertretern der Spandauer Bezirksverordnetenversammlung, darunter ihr stellvertretender Vorsteher Uwe Ziesack, Vertretern der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Heidi Schütz, der Vorsitzenden des Vereins "Ferien für Kinder aus Tschernobyl", Michael Sturm von der Gossner Mission, Mitgliedern unseres Vereins und neun weiteren interessierten Mitreisenden zusammen. Sechs der Teilnehmer waren Geschichtslehrer - für die Fahrt sicherlich eine Bereicherung. Überall, wo wir zu Gast waren, entstanden so interessante Diskussionen und Gespräche.

Wolgograd zeigte sich zum Anlaß der Feierlichkeiten anders als für viele von uns gewohnt. Das Straßenbild war einerseits von der russischen Staatsflagge und der Flagge der Roten Armee geprägt und andererseits von mannshohen Plakaten, die an die Schlacht erinnerten. Die roten Flaggen säumten auch den langen Aufgang zum Mamajewhügel, der zentralen Gedenkstätte der Schlacht um Stalingrad. Die Szenerie wurde dadurch verdichtet, daß dichte Nebelschwaden die Sicht auf die 85 Meter hohe Statue der "Mutter Heimat" verhüllten, die diese erst auf den letzten Metern den Augen der Betrachter freigaben.

Blick auf Mutter Heimat
 
Das Programm der ersten Tage unserer Reise stand in engem Zusammenhang mit dem Jahrestag der Schlacht um Stalingrad. Zum Gedenken an die Gefallenen legte die Delegation auf dem russischen und dem deutschen Soldatenfriedhof in Rossoschka Kränze nieder. Auf Einladung der Schulen Nr. 1 und Nr. 49 nahmen wir an einer Gedenkfeier teil, die an Schrecken und Leid, die jeder Krieg den beteiligten Menschen zufügt, erinnerte. Im Anschluß erzählten uns Veteranen bei Tee, Wodka und belegten Broten ihre Lebensgeschichten. Nicht weniger beeindruckend war das Treffen mit den ehemaligen Zwangsarbeiterinnen, die während der Kriegsjahre in Spandau zur Zwangsarbeit verpflichtet worden waren. Das Treffen fand auf Einladung des Spandauer Bezirksbürgermeisters statt und bildete den zweiten Teil der Begegnung, die im Dezember 2001 Frau Poletajewa und Frau Petschegina, zwei ehemalige Zwangsarbeiterinnen, zu einem Besuch nach Spandau geführt hatte. Da damals nicht alle elf ausfindig gemachten ehemaligen Zwangsarbeiter reisefähig und -willig waren, lud Herr Birkholz kurzerhand zu einem gemeinsamen Nachmittag mit Mittagessen und Kaffee in das Restaurant des Hotels "Oktjabrskaja" in Wolgograd ein. Dieses Treffen weckte auch das Interesse der Medien, da die Schicksale der als Zwangsarbeiter von den Deutschen im zweiten Weltkrieg verschleppten Frauen und Kinder in diesen Tagen der Heldenehrung von der offiziellen Seite bei den Feierlichkeiten nahezu vollkommen ausgeklammert blieben. Es ist auch zu bedenken, daß die Zwangsarbeiter zunächst während des Krieges meist zur Arbeit in der deutschen Rüstungsindustrie gezwungen wurden und nach ihrer Rückkehr vielfach weiteren Repressionen durch die eigene Staatsmacht ausgesetzt waren. Das russische Fernsehen, ein französischer Radiosender und eine Journalistin vom WDR fanden genügend Stoff für ihre Reportagen an diesem Nachmittag, der mit der Unterzeichnung der Seiten aus dem "Goldenen Buch der Stadt Spandau" beendet wurde.

Für viele Delegationsmitglieder war die große Militärparade am Sonntag vormittag eine neue Erfahrung. Das zur Schau gestellte Militäraufgebot weckte bei vielen gemischte Gefühle.

Am Nachmittag traf Präsident Wladimir Putin in Wolgograd ein. Gemeinsam mit den offiziellen Gästen der Stadt, darunter auch unser Bezirksbürgermeister, legte er Kränze am Mamajewhügel nieder und besuchte das Panorama-Museum. Seine Ansprache beim Empfang im Konzerttheater wurde landesweit im Fernsehen übertragen. Darin stellte er die langen und guten Beziehungen zwischen dem deutschen und russischen Volk heraus, die bis in das Zeitalter der Zaren zurückreichen und zweifelsohne durch den Krieg beeinträchtigt, aber gerade in den letzten Jahrzehnten wieder gefestigt wurden.

Die öffentlichen Feierlichkeiten wurden am Sonntag abend mit einem großen Feuerwerk am Flußhafen beendet.

Treffen mit Veteranen
 
In den folgenden Tagen stellten sich unsere Partner in Wolgograd der Delegation vor. Wir besuchten Raissa Skrinnikowa, die Leiterin des Wolgograder Kinderfonds, in ihrem Büro. Eine reich gedeckte Tafel und musikalische Beiträge unter anderem von Familie Hetschumian und der kleinen Marina, die in Spandau schon sehr gut bekannt sind und auch durch Nadjeschda e.V. gefördert wurden, sorgten für eine familiäre Atmosphäre. Zum Ende des Besuches wurden die im Rahmen des Patenschaftsprojektes gesammelten Spenden an den Kinderfonds übergeben. Zudem überreichte Uwe Ziesack die von der Spandauer Bezirksverordnetenversammlung gesammelten Gelder an Frau Skrinnikowa.

Nicht weniger familiär ging es im Sanatorium "Dom Miloserde" beim Termin mit seiner Leiterin Jelena Fetisowa zu. Gemeinsam mit den alten Menschen, die zur Erholung bis zu drei Monate im Sanatorium ärztlich betreut werden, nahmen wir an einer Konzertveranstaltung eines aus Wolschki stammenden Frauenchors teil.

Darüber hinaus besuchten wir das Kinderrehabilitationszentrum "Zärtlichkeit", das Jugendtanztheater "Phönix" unter der Leitung von Irina Kirpitschenkowa, das von Spandauer Unternehmen unterhaltene Berliner Zentrum sowie die Pädagogische Universität, wo wir mit Studierenden diskutierten. Schließlich besichtigten wir noch das Panorama-Museum, wo die Zeit viel zu kurz war.

Als Dank an unsere Gastgeber und als Zeichen der Verbundenheit lud die Delegation im Anschluß an die Besichtigung des Panorama-Museums zu einem Bankett. Neben den Vertretern unserer Partnerorganisationen waren auch die Vertreter der Stadt- und Gebietsverwaltung geladen. In vielen Gesprächen wurde über unsere Projekte und die zukünftige Zusammenarbeit diskutiert.

Einen besonders schönen Empfang bot uns die Wolgograder Kinderakademie. Ein knapp zweistündiges Konzert, in dem die verschiedenen Abteilungen der Akademie ihr Können darboten, sorgte unter den Delegationsmitgliedern für wahre Begeisterungsstürme. Die Jazzband mit ihren (be-)swingenden Rhythmen und das Ballett in seiner bezaubernden Anmut waren die herausragenden Programmpunkte. Im Anschluß verbrachten wir den Abend mit den Lehrkräften der Akademie, ihrem Direktor Wladimir Scherowatow und dem Leiter des Kulturamtes der Stadt Wolgograd Anatoli Woronow.

Für die Teilnehmer, die am nächsten Morgen die Heimreise mit dem Flugzeug antraten, hieß es an diesem Abend Abschied zu nehmen. Die übrigen hatten noch vier weitere Tage Programm in Wolgograd, bevor sie mit der Eisenbahn nach Moskau reisten, um von dort aus zurück nach Berlin zu fliegen. Die ereignisreichen Tage in Wolgograd werden den Delegationsmitgliedern sicherlich noch lange in Erinnerung bleiben. Die Empfindungen und Erlebnisse in Worte zu fassen, fällt oft schwer. So können wir als Verein nur dafür arbeiten, daß möglichst vielen Menschen und hier im besonderen Maße der Jugend die Möglichkeit gegeben wird, einander durch gegenseitige Besuche kennenzulernen. Doch nicht nur gemeinsam die Geschichte aufzuarbeiten, sondern vor allem Freundschaften für die Zukunft zu schließen - das bleibt unser Ziel.
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