Vorwort


Nach Weimar: Partnerschaftsträume eines "Zeitstifters"

Dr. Jörg Bohse,
Vorsitzender des Bundesverbandes der Deutschen West-Ost-Gesellschaften, Berlin
Nach dem Willen seiner Begründer, des russischen Präsidenten Wladimir Putin und des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, soll sich der "Petersburger Dialog zu einer originellen Börse von Ideen" entwickeln, die sich nutzbringend auf die deutsch-russischen Beziehungen auswirken. Allen relevanten gesellschaftlichen Gruppen sei in einem offenen Dialog Gelegenheit zu geben, ihre Haltungen darzulegen, durchaus auch kontrovers und kritisch. Die Besonderheit dieser die Zivilgesellschaft stärkenden Begegnungen bestehe darin, daß sie Menschen zusammenbringen, die sonst nicht ohne weiteres in Kontakt kämen: "den deutschen Theaterregisseur mit dem russischen Banker, die Petersburger Universitätsdozentin mit dem Kölner Sozialexperten."

Diese Zielvorgaben wurden im ersten Anlauf gründlich verfehlt. Wie Beobachter anmerkten, war die Zusammensetzung des sogenannten zivilgesellschaftlichen Dialogs auf beiden Seiten nur auf die Eliten beschränkt, so daß die Rede von der "simulierten Zivilgesellschaft" nicht übertrieben schien.

Dabei stellten wir gar nicht die Idee, sondern das, was die Lenker im ersten Anlauf aus ihr zu machen schienen, in Frage. Die Schärfe der Kritik war dem Start eines Experiments sicher unangemessen. Sie resultierte in Wahrheit aus der Empörung, daß man uns, die wir seit über fünfzehn Jahren in beharrlicher ehrenamtlicher Arbeit einen lebendigen Austausch mit russischen Partnern praktizieren, vollständig ausgegrenzt hatte.

Der Bundesverband Deutscher West-Ost-Gesellschaften (BDWO) suchte darauf zusammen mit anderen Rußlandinitiativen, die er zu einem "Runden Tisch" versammelte, nach einem Weg, den "Dialog" künftig aktiv mitgestalten zu können. Für das Weimarer Treffen des Petersburger Dialogs schlugen wir eine Ausstellung vor. Sie trug den Titel: "Dimensionen zivilgesellschaftlichen Handelns in den deutsch-russischen Beziehungen". Verbunden wurde dieser Vorschlag mit der Forderung, Teilnehmer und Beobachter aus den Reihen "nichtstaatlicher" Akteure nach Weimar einzuladen. Beides wurde vom "Lenkungsausschuß" akzeptiert. Wie sich zeigen sollte, zum Vorteil beider Seiten.

Die in der Weimarhalle vom 8. bis 10. April präsentierte Ausstellung zeigte die Vielseitigkeit, die geographische Reichweite und die gesellschaftliche Resonanz der Arbeit von über fünfzig (zivil)gesellschaftlichen Initiativen, die sich in Deutschland und Rußland für eine Erweiterung und Verbesserung der deutsch-russischen Beziehungen einsetzen. Die Ausstellung demonstrierte eindrucksvoll die Wirkungsmöglichkeiten deutscher NGOs in Rußland und zeigte, welch breites Netzwerk an Verbindungen zu russischen Partnern bereits besteht.

Die Visualisierung der "Dialog"-Themen stellte nicht nur eine optische Bereicherung der Veranstaltung dar, sie zeigte an konkreten Beispielen auch, welche Fortschritte der Aufbau einer Zivilgesellschaft in Rußland macht. Zu einem fairen Rußlandbild gehört unseres Erachtens zuallererst die Darstellung positiver Entwicklungen. Vor diesem Hintergrund dürfen dann freilich kritische Themen wie der Tschetschenienkrieg, ökologische Katastrophen und Menschenrechtsverletzungen nicht tabu sein. Indem die Ausstellung beides ansprach, wurde sie gleichsam zum Statthalter der in Weimar nicht beziehungsweise nur rudimentär anwesenden russischen Bürgergesellschaft.

Die anwesende deutsche Einheitspresse nahm von der Ausstellung so gut wie keine Notiz. Sie ist auf die große Politshow und den Skandal fixiert. Berichtenswert ist für sie nicht das Positive und Konstruktive eines Prozesses, sondern ausschließlich das Problematische, das man zudem selten bei sich selbst sucht.

Das Fehlen von Vertretern der russischen Opposition, der Bürgerrechtsbewegung und zivilgesellschaftlicher Initiativen in Weimar wurde zu Recht kritisiert. Die Kritik scheint bei den Offiziellen auch durchaus angekommen zu sein. Auch auf deutscher Seite war ja zunächst nachhaltiger Protest vonnöten, um NGOs ins Boot zu holen. Daß die Veranstalter nicht nur die "braven" Gemeinwohlakteure zuließen, sondern auch die kritischen von amnesty international, Greenpeace und Memorial, stärkt die Glaubwürdigkeit vom offenen, kritischen Dialog und setzt den russischen Partnern entsprechende Maßstäbe für das nächste Treffen.

Die Überwindung der staatlichen Scheu, zum Dialog selbstverständlich auch Vertreter der Bürgergesellschaft zuzulassen, ließe sich im übrigen leicht dadurch erreichen, daß nicht der staatlich eingesetzte "Lenkungsausschuß" als Einlader fungiert, sondern die am Dialog weiter zu beteiligenden deutschen NGO-Partner. Bei der "7. deutsch-russischen Städtepartnerschaftskonferenz", zu der der Bundesverband zusammen mit dem Deutsch-Russischen Forum im November in Suhl einlädt, wird dieser Modus bereits praktiziert.

Bei allen Problemen, die sich der positiven Weiterentwicklung des Petersburger Dialogs insbesondere in bezug auf die Realisierung vorgeschlagener Empfehlungen und Forderungskataloge stellen werden, bleibt für uns nach der ersten Beteiligung als positive Bilanz festzuhalten, daß uns die Teilnahme Gelegenheit zu mannigfachen gruppen- und interessenübergreifenden Kontakten bot, die sonst selten oder gar nicht zustande gekommen wären. Daß daraus für die künftige praktische Arbeit Vorteile erwachsen können, ist gut möglich. Eine gute Chance, daß der Charakter des "Dialogs" als Ideenbörse praxisrelevante Auswirkungen hat, besteht dann, wenn sich einzelne Teilnehmergruppen für die Lösung spezieller Probleme zusammentun und sich gegenseitig, nach Maßgabe ihrer besonderen Fähigkeiten und Ressourcen, unterstützen und ergänzen. Wenn "Geldstifter" sich mit (ehrenamtlichen) "Zeitstiftern" und "Ideenstiftern" zusammentun, lassen sich mit geringeren finanziellen Mitteln größere gesellschaftliche Projekte realisieren. Eine gemeinsame Arbeitstagung zwischen Stiftungsvertretern und den konzeptiven Köpfen ehrenamtlicher Gesellschaften könnte schnell zu konkreten Ergebnissen führen.

Der Anfang zu einem vertrauensvollen Dialog wurde in Weimar gemacht.


Dr. Jörg Bohse,
Vorsitzender des Bundesverbandes der Deutschen West-Ost-Gesellschaften, Berlin
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