Kultur

Alischer Nawoi - Dichter, Wesir, Mensch [ Abstract ]

aus WOSTOK SPEZIAL: Armenien - Europäisches Tor nach Asien (Teil 1)
 
Armenische Architektur der ältesten Zeit [ Abstract ]
Von Kirchenbaukunst und Stadtentwicklung [ Abstract ]
Kulturelle Überlegenheit - staatliche Minderwertigkeit [ Volltext ]
Der Stein für Chatschkare [ Abstract ]
Das Matenadaran und seine Künstler [ Abstract ]
Improvisationsfähigkeit und Schaffensdrang [ Abstract ]
Vorbereitung auf den Winter [ Abstract ]
Alltägliche Geschichten aus Bjurakan [ Abstract ]
Flüchtiger Blick auf das Leben der Bauern [ Abstract ]
Von den ethnischen Minderheiten [ Abstract ]
Ein Kind der dunklen Zeit [ Abstract ]
Großer Serviceteil [ Abstract ]
Zu Teil 2 vom WOSTOK SPEZIALS - Armenien

Alischer Nawoi - Dichter, Wesir, Mensch
von
Juldasch Parda, Journalist, Taschkent


Der Dichter Alischer Nawoi gilt als Begründer der usbekischen Literatur. In diesem Jahr wird in Taschkent sein 660 Geburtstag gefeiert.
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Mit dem großen Armenien-Spezial "Armenien - Europäisches Tor nach Asien" nähern wir uns dem alten und dem modernen Armenien, seiner Geschichte, Kultur, Kunst und Gesellschaft, seiner Religion und Identität.


Armenische Architektur der ältesten Zeit

von
Hakop Simonjan, Howhannes Sanamjan,
Komitee für Denkmalschutz und -pflege, Jerewan


Die St.Hripsime Kirche ist ein einzigartiges Baudenkmal aus dem 7.Jahrhundert
 
Armenien ist eines der am frühesten von Menschen besiedelten Gebiete der Welt. Schon zu Urzeiten bildete sich hier eine einzigartige Architektur aus, die stets auf das in unermeßlichem Reichtum und Vielfalt vorhandene Material - den Stein - zurückgriff. Schon früh gab es Siedlungen mit runden und rechteckigen Häusern und erste Städte, früh gab es auch bereits eine eigenständige Festungsarchitektur. Stein wurde stets bearbeitet, er gab Kunde von Jagden, Kriegen und dem hohen Stand der Kunst.
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Von Kirchenbaukunst und Stadtentwicklung

von
Hakop Simonjan, Howhannes Sanamjan,
Komitee für Denkmalschutz und -pflege, Jerewan


Hauptkirche Etschmiadsin aus dem 4.Jahrhundert
 
In Armenien entwickelte sich bereits im frühen Mittelalter eine eigenständige Kirchenbaukunst, die durch klare Kompositionen, schlichte Formen, Strenge und Einfachheit in der Ausgestaltung gekennzeichnet ist. Die im 4. Jahrhundert angelegten Bautraditionen wurden immer weiter vervollkommnet, aber nicht grundlegend verändert. Die Städte entwickelten sich stürmisch. Armenien besaß über die Jahrhunderte hinweg dreizehn Hauptstädte.
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Kulturelle Überlegenheit - staatliche Minderwertigkeit

von
Alexander Iskanderjan, Direktor des Zentrums für Kaukasusstudien, Moskau


Das ethnische Bewußtsein der Armenier ist extrem kompliziert. Die Armenier sind einerseits eine alte Kulturnation, hatten andererseits aber mehr als 700 Jahre keine eigene Staatlichkeit. Ihre nationale Identität ist stark von der religiösen Komponente und dem Bewußtsein, eine Sonderstellung in der Region einzunehmen, geprägt. Eine wichtige Rolle spielt auch der Genozid im ersten Weltkrieg. All diese Faktoren zusammen mit einer angespannten wirtschaftlichen Lage beeinflussen die Gestaltung der neuen staatlichen Identität seit der Unabhängigkeit 1991.

Das ethnische Selbstbewußtsein der Armenier ist eine überaus komplizierte Erscheinung - selbst für ein "ethnologisches Museum", wie es der Kaukasus ist. Die Identität der Armenier ist von vielen Merkmalen geprägt, die für die Völker dieser Region untypisch sind. Ich werde sie mit einem mehrschichtigen Kuchen vergleichen, dessen Füllungen auf den ersten Blick absolut nicht zueinander passen. Zu nennen wäre der für die Armenier charakteristische Historismus, die ausgeprägte religiöse Komponente der nationalen Identität, der "Komplex des Genozids" und der beinahe manische Haß auf die Türken. Einerseits ist es die Identität einer alten Nation mit reicher Kultur und langen Traditionen, andererseits die eines Volkes, das in einem sehr jungen Staat lebt, der erst vor wenigen Jahren gegründet wurde.

Die armenische Kultur - ein Relikt

Diese Vielschichtigkeit wurzelt natürlich in der Geschichte. Die Armenier sind eher ein nahöstliches denn ein kaukasisches Volk. Die armenische Kultur ist ein ziemlich spezifisches "Relikt". Die vorderasiatischen Völker bekennen sich spätestens seit dem 9. Jahrhundert mehrheitlich zum Islam, während sich die Armenier die vorderasiatische Kultur, das Christentum und gleichzeitig einige uralte kulturelle Besonderheiten bewahrten. Armenien ist ein Splitter des vorislamischen Nahen Ostens. Diese Tatsache "isolierte" die armenische Ethnie in der Umgebung ihrer heutigen Nachbarn - den Türken, den Persern und den Aserbaidschanern. Mehr noch. Die Armenier selbst erkennen diese Isolierung an, ja, sie übertreiben sie sogar.

Seit dem 5.Jahrhundert übte die armenische Kirche in gewissem Sinne die Funktionen des Staates aus
 
Bereits in der armenischen kirchlichen Geschichtsschreibung des Mittelalters wurde das Bild der Armenier als eines "christlichen Volkes in feindlicher Umgebung" geschaffen. Dies erklärt sich teilweise dadurch, daß die Zeiträume, in denen Armenien als unabhängiger Staat existierte, nur sehr kurz bemessen waren und die armenische Kirche bei der Ausbildung der ethnischen Identität der Armenier eine spezifische Rolle spielte. Ohne auf dieses außerordentlich interessante und forschungswürdige Thema weiter einzugehen, möchte ich an dieser Stelle lediglich vermerken, daß es in Armenien bis Mitte des vorigen Jahrhunderts keine weltliche Intelligenz gab. Damit existierte auch kein weltliches Gesellschaftsleben.

Armenien verlor seine Staatlichkeit im 5. Jahrhundert, und seitdem übte die armenische Kirche in gewissem Sinne die Funktionen des Staates aus. Sie war die einzige Struktur, die die Einheit des Volkes im persischen und türkischen Teil Armeniens wahrte. Dies gilt ab 1828 auch für den russischen Teil. Rußland eroberte im Jahre 1828 das persische Armenien, eben das Territorium der heutigen Republik Armenien. Die Tätigkeit der armenischen Kirche erstreckte sich auch auf die kulturbildenden, Bildungs- und Gerichtsfunktionen. Ausgenommen im ostarmenischen Karabach und im westarmenischen Sassun, wo teilweise die örtliche Selbstverwaltung fortbestand, wurden die Funktionen der inneren Hierarchie der armenischen Gesellschaft von kirchlichen Strukturen ausgeübt. War beispielsweise eine Streitfrage zu entscheiden, so wandten sich die armenischen Bauern nicht an den türkischen Richter, sondern an ihren Geistlichen, da sie den moslemischen Staat und damit auch seine Beamte als fremd und feindlich wahrnahmen.

Die Kirche funktionierte lange Zeit praktisch als die einzige Institution, in deren Rahmen sich die nationale Identität ausformte: Studiert wurde die Geschichte, gesetzt wurden Zeichen bei der Einschätzung historischer Personen und Ereignisse und erarbeitet wurden Stereotype. Armenien hatte früh das Christentum angenommen, schon im Jahre 301 wurde das Christentum Staatsreligion, aber bereits im 5. Jahrhundert, nach dem Konzil von Chalkidike, unterschied sich die Dogmatik der Armenischen Apostolischen Kirche in hohem Maße von den Dogmen beinahe aller anderen damaligen christlichen Konfessionen. Dies und der Umstand, daß die Armenier in einer Umgebung von Völkern lebten, die andere Religionen, andere Kulturen und andere Sprachen hatten, verstärkten die Empfindung der Sonderstellung der Armenier. Dies war neben weiteren Faktoren auch ein Grund, warum die Armenier die Vorstellung von der "Auserwähltheit der armenischen Nation" und der "Erstgeburt des armenischen Christentums" entwickelten. Es ist übrigens eine Vorstellung, die auch heute noch Gültigkeit hat. Der armenische ethnische Mythos übertreibt das Bild und die Stellung der armenischen Kultur sowie deren Abgrenzung von der Kultur der Nachbarvölker. Im Bewußtsein des Volkes bürgerte sich fest die Vorstellung von den Armeniern als den einzigen Kulturträgern ein, die von Barbaren und Zerstörern umgeben sind.

In der Konsequenz entstand das Bild einer isolierten, sich selbst genügenden Kultur. Die für die Region und insbesondere für die Armenier charakteristischen Beispiele kultureller Beziehungen und gegenseitiger Durchdringung der Kulturen wurden in Beispiele umgewandelt, die belegen sollten, daß die Armenier Kulturwerte für alle die Völker schufen, die selbst dazu nicht in der Lage waren. Natürlich beeinflußte die armenische Kultur - wie die meisten "alten" Kulturen - die benachbarten Kulturen. Andererseits aber stand sie freilich selbst unter deren Einfluß. Die Grenzen dieses Einflusses sind praktisch undefinierbar. Die armenische Musik, Alltagskultur, Architektur und Malerei sind in jedem Falle durch den türkischen, persischen und russischen Einfluß geprägt.

Zudem erzeugte die Meinung über die Einzigartigkeit der Armenier - nämlich als Träger der christlichen Kultur im Orient - eine sonderbare Mischung von religiösem und ethnischem Selbstbewußtsein. In den Sprachen einiger moslemischer Nachbarvölker bedeutet das Wort "Ermeni" (Armenier) nicht nur "Armenier", sondern auch "Christ". In der Region, in der die Armenier angesiedelt sind, gab es nämlich bis Anfang des 20. Jahrhunderts keine säkularen Gesellschaften. In einer nichtsäkularen Gesellschaft ist aber die Assimilation ohne Bruch mit der Religion unmöglich. Es gibt hinlänglich viele Beispiele dafür, daß die Armenier ihre Sprache und Elemente der nationalen Kultur wechselten. In dem Moment aber, in dem die Behörden eines jeweiligen Landes versuchten, die Armenier unter Druck zu setzen und zu ihrer Konfession zu bekehren, wanderten sie häufig einfach aus. Die Übernahme der anderen Sprache war eine recht verbreitete Erscheinung: Es gab und gibt auch heute türkisch- und persischsprachige Armenier. Es gibt allerdings keinen einzigen Fall, in dem sich die Armenier als Gruppe gewaltlos zu einer anderen Konfession hätten bekehren lassen. Natürlich gab es immer wieder Fälle, daß einzelne Armenier zu einer anderen Religion übertraten. Aber in diesem Falle hörten die Abtrünnigen und in Folge ihre Kinder automatisch auf, Armenier zu sein. Die nationale Zugehörigkeit wurde und wird auch heute nur durch die Religion bestimmt. Und dies machte die Nationen der Armenier und Juden im Vergleich zu anderen Völkern viel resistenter gegenüber einer Assimilation in der Diaspora. Es ist kein Zufall, daß die Armenier "Juden des Orients" genannt wurden.

Armenien verlor seine Staatlichkeit im 5.Jahrhundert. Die heutige Festigung der Staatlichkeit wird die Frustration und die kollektiven Komplexe in der Gesellschaft wahrscheinlich vermindern
 
Armenier und Juden haben noch eine andere Besonderheit gemeinsam. Da die Armenier keinen eigenen Staat hatten, von den herrschenden Ethnien ständig bedrängt wurden und ihnen in den Bergen nur spärlich Ackerboden zur Verfügung stand, wanderten sie aus der Heimat aus und bildeten Kolonien - zunächst in den Städten der angrenzenden Länder, dann der ganzen Welt. Die Armenier ließen sich vornehmlich in Städten nieder, hatten keine eigenen Herrscher und waren vor allem im Handel, Handwerk und der intellektuellen Tätigkeit aktiv. Aus diesem Grund stellten die Armenier bereits Mitte des vorigen Jahrhunderts einen überproportional großen Teil der Stadtbevölkerung und Intelligenz in den Städten des Osmanischen Reiches und des russischen Kaukasus. Die Großstädte der Region - Konstantinopel, Tiflis (heute Tbilissi) und Baku - waren größtenteils "armenische" Städte, während die Bauern zumeist Türken, Georgier und Aserbaidschaner waren. Da die Bildungsstimuli in Städten in der Regel höher als auf dem Land sind, entwickelte sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts eine Schicht der armenischen Intelligenz. Dies wiederum verstärkte nur den armenischen Komplex der "kulturellen Überlegenheit".

Ein neugeborener Staat

Bis Anfang des 19. Jahrhunderts befand sich ein Großteil des mit Armeniern besiedelten Territoriums im sogenannten Westarmenien, also dem Territorium der heutigen östlichen Türkei. Als Ergebnis des Genozids, den die damalige türkische Regierung im ersten Weltkrieg ab 1915 organisierte, wurden die Armenier auf diesem Gebiet völlig vernichtet. Heute leben Armenier kompakt lediglich in der Republik Armenien und den angrenzenden Gebieten - Nagorny Karabach und drei Rayons in Südgeorgien. Die Armenier betrachten ihr heutiges Siedlungsgebiet natürlich nur als einen Teil ihrer historischen Heimat. Selbst das Symbol für Armenien - der Berg Ararat - liegt heute außerhalb Armeniens in der Türkei. Da infolge des Genozids die Mehrheit der Armenier bis in unsere Zeit in der Diaspora lebt, ist das Gefühl, weltweit verstreut zu leben, ebenfalls eine extrem wichtige Komponente der armenischen Identität.

Der sogenannte Komplex des Genozids spielt vermutlich eine Schlüsselrolle im Selbstbewußtsein der Armenier. Der Genozid im Osmanischen Reich von 1915 bis 1922 prägt die Mentalität der Armenier bis heute. Der Genozid wurde damals als das Ende der armenischen Nation aufgefaßt. Die Fortsetzung des ersten Weltkrieges und die damit zusammenhängende Gefahr der Eroberung des russischen Armeniens sowie die Hoffnungen auf den Anschluß der vor dem Genozid mit Armeniern besiedelten Gebiete verminderten die Frustration im armenischen Milieu. Die Gründung der Armenischen Republik im Jahre 1918 ließ neue Hoffnung keimen, die 1920 zusammenbrach, als Armenien durch die Sowjetarmee annektiert wurde. Aus Sicht der Diasporaarmenier existierte "Armenien" nicht mehr. Im Ergebnis nimmt der Genozid von 1915 (armenisch heißt er "Egern", wörtlich "Greueltat") auch heute noch einen sehr wichtigen Platz im armenischen Bewußtsein ein. Herausgebildet hat sich der Komplex des "Leidensträgers". Erneut kam die Idee des "Ausgeliefert-Seins" der kleinen Nation in feindlicher Umgebung auf. Übrigens wurde dieser Komplex auch von der sowjetischen Propaganda genutzt, die das Thema der Schutzlosigkeit der Armenier in der damaligen Türkei und der positiven Rolle Rußlands bei der Rettung des armenischen Volkes vor der völligen physischen Vernichtung ausschlachtete. Somit bürgerte sich im armenischen Bewußtsein die These über die alternativlose prorussische Orientierung ein. Daraus erklärt sich auch, daß diese Stimmungen nach dem Zerfall der UdSSR immer noch weit verbreitet sind. Der "Komplex des Genozids" ließ bei den Armeniern zudem das Gefühl ihrer staatlichen Minderwertigkeit, Ängste vor den Nachbarn und die Gewohnheit, den "großen Bruder" als Stütze zu betrachten, entstehen.

Nach der Unabhängigkeit Armeniens im Jahre 1991 begann sich vor diesem nicht sehr günstigen Hintergrund, eine neue staatliche Identität der Armenier in Armenien zu gestalten. Der Staatsaufbau wurde in einer Situation begonnen, in der Armenien absolut keine staatlichen Traditionen hatte. Sieht man von der Erfahrung der Jahre 1918 bis 1920 ab, die zu kurz war, um die Ausgestaltung einer politischen Kultur zu beeinflussen, existierte der letzte armenische Staat vor 700 Jahren, und zudem nicht auf dem Gebiet des heutigen Armeniens. Die gegenwärtige Entwicklungsphase der armenischen Gesellschaft ist also mit dem Werdegang der Nationalstaaten in Europa im 15. bis 19. Jahrhundert vergleichbar. Das Problem der postsowjetischen Staaten besteht jedoch darin, daß der Staatsaufbau, der Marktübergang, die Schaffung politischer Institutionen, die Bemühungen um authentische Modelle der politischen Kultur und die Prägung einer neuen Mentalität der Bevölkerung, die über die Jahrhunderte im Bestand mächtiger Imperien gelebt hatte, gleichzeitig und in historisch kurzer Zeit durchgeführt werden müssen.

In Armenien wird heute sogar manchmal in Frage gestellt, ob ein unabhängiger armenischer Staat überhaupt existieren kann. Das Fehlen staatlicher Traditionen, der extrem niedrige Lebensstandard und der Fakt, daß sich keine positiven Wirtschaftsperspektiven abzeichnen, führten zur Verelendung und infolgedessen zur Radikalisierung der Bevölkerung. Mit dem Ende des Karabach-Krieges endete auch die Konsolidierung der Gesellschaft um die Macht, die sich Anfang der 90er Jahre abgezeichnet hatte. Im Ergebnis liegt in Armenien die Entfremdung der Macht vom Volk und vor allem von der Intelligenz offen zutage. Die Konfrontation mit der Macht nimmt einen immer radikaleren Charakter an. Trotz vieler Kundgebungen und Demonstrationen beeinflußt die politische Opposition die Macht aber nur wenig. Und daraus erwachsen Spannungen zwischen den real funktionierenden demokratischen Institutionen (Redefreiheit, Parteienpluralismus) und dem sich bildenden System der politischen Macht. Diese Spannungen führen zu einer schwachen inneren Legitimität jeder Regierung, wodurch jedoch die "Partei der Macht" nicht daran gehindert wird, die Öffentlichkeit gegebenenfalls, wie beispielsweise bei den Wahlen, zu manipulieren.

Die Festigung der Staatlichkeit wird die Frustration und die kollektiven Komplexe in der Gesellschaft wahrscheinlich vermindern. Dies läßt sich bereits jetzt feststellen. Mit dem Ende des Karabach-Krieges ebbten die Leidenschaften im Zusammenhang mit den historischen Komplexen ab. Es hat allerdings keinen Sinn zu hoffen, daß die antitürkischen Stimmungen in der Gesellschaft in absehbarer Zeit verschwinden werden. Sie verlieren jedoch an Aktualität. Denn an die Stelle des Komplexes der Besiegten trat der Komplex der Sieger, der natürlich durch den Verlauf und den Ausgang des Karabach-Krieges gefördert wurde. Der Mythos vom leidenden Volk hat sich auf ganz bizarre Weise mit dem Mythos vom siegreichen Volk verflochten. Die Ausnutzung der ethnisch-mobilmachenden Möglichkeiten für Propaganda und Aufbau eines "Feindbildes" ist eher für die Zeit einer offenen Konfrontation typisch.

Viel wichtiger für das unabhängige Armenien ist die Wirtschaftskraft des Staates und seine Fähigkeit, seinen Bürgern elementare Arbeitsperspektiven und einfach annehmbare Existenzbedingungen zu sichern. Die Republik Armenien ist nach wie vor ein armer Staat. Ihre Entwicklung wird aus vielen - politischen und wirtschaftlichen - Gründen blockiert. Dies hat die weiter wachsende Auswanderung der Bevölkerung zur Folge, die nach Arbeitsverhältnissen im Ausland sucht. Unterschiedlichen Schätzungen nach überweisen monatlich allein die in Rußland lebenden Armenier etwa zehn Millionen Dollar in die Heimat. Das ist mehr als ein Viertel des armenischen Staatshaushalts. Alle anderen Migrationsfolgen hingegen sind für die weitere Entwicklung extrem negativ. Die meisten Arbeitsemigranten sind Männer im erwerbsfähigen Alter. Ihr Wegzug - in der Regel ohne Familien - hat die Geschlechter- und Altersstruktur der Bevölkerung verändert. In Armenien gibt es bereits heute ein beträchtliches Übergewicht an Frauen, Kindern und Rentnern. Zudem reisen oft besonders aktive Menschen aus, was eine Stagnation in praktisch allen Lebensbereichen zur Folge hat. Armut und Stagnation bewirken andererseits Pessimismus und befördern den Glauben an die Lebensfähigkeit des unabhängigen Staates nicht gerade. Im Ergebnis ist heute in Armenien der für die Armenier traditionelle Komplex der kulturellen Überlegenheit merkwürdigerweise mit einem ungeheuer großen Komplex der staatlichen Minderwertigkeit verbunden, wobei die Bürger absolut nicht an die Zukunft ihres Landes glauben. Die Zeit wird zeigen, ob das armenische Volk, das eine originelle Kultur geschaffen hat, auch einen lebensfähigen Staat wird schaffen können.
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Der Stein für Chatschkare

von
Hakop Simonjan, Howhannes Sanamjan,
Komitee für Denkmalschutz- und -pflege, Jerewan


Die frühe Christianisierung Armeniens brachte eine einzigartige Kunst hervor - die Chatschkare. Es sind Steinstelen mit geschnitzten biblischen Themen, die den christlichen Glauben verewigen sollen. War es zu Beginn nur ein einfaches gleicharmiges Kreuz, das in einen Kreis eingearbeitet wurde, so erlebte diese Darstellungsform eine rasante Entwicklung. Die Formen und Strukturen veränderten sich, die Darstellungsthematik und die Verzierungen wurden reicher und feiner. Die Kunst der Steinschnitzerei wird bis in die Gegenwart ausgeübt.
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Das Matenadaran und seine Künstler

von
Margo Gukassjan, Mitarbeiterin der Zeitschrift "Garoun", Jerewan


Das Matenadaran birgt eine der reichsten Handschriftensammlungen der Welt und ist zugleich Forschungszentrum. Manuskripte aus dem 5. und 6. Jahrhundert, Kopien der Bibel, historische, theologische und philosophische Werke aus dem Mittelalter finden sich hier. Einen wichtigen Platz nimmt die Bewahrung und Restauration der alten Manuskripte ein. Am Matenadaran arbeiten viele Künstler, die Kopien der uralten Werke erstellen. Zu ihnen gehört auch Gera Karagössjan.
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Improvisationsfähigkeit und Schaffensdrang

von
Anusch Hakop, Leiterin des Experimentalstudios im Zentrum für ästhetische Erziehung, Jerewan


Das Museum für Kinderschaffen hat einen festen Platz im künstlerischen Leben Armeniens
 
Bereits zur Sowjetzeit wurden das Museum für Kinderkunst und das Zentrum für ästhetische Erziehung in Jerewan gegründet. Damit wurde das Schaffen von Kindern nicht mehr nur als bloße Spielerei gewertet, sondern als Teil des künstlerischen und kulturellen Prozesses eines Landes. Für das Kindermuseum ist das wichtigste Qualitätsmerkmal die Unnachahmlichkeit einer Arbeit. In den Workshops des Zentrums werden Kinder darin gefördert, Improvisationsfähigkeiten und Schaffensdrang zu verwirklichen.
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Vorbereitung auf den Winter

von
Britta Wollenweber, Wostok, Berlin


Im Sommer sind Obst und Gemüse in Armenien billig, und so bereiten sich die Menschen bereits im August und September auf den langen entbehrungsreichen Winter vor: Sie kochen Gemüse und Obst ein, backen Brot, das sich monatelang hält und destillieren Aprikosenwodka.
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Alltägliche Geschichten aus Bjurakan

von
Margo Gukassjan, Mitarbeiterin der Zeitschrift "Garoun", Jerewan


Auf dem Land lastet die Arbeit auf den Schultern der Frauen. Neben Ernte- und Hausarbeit müssen sie sich auch noch um den Verkauf der Produkte kümmern
Das Leben in der armenischen Hauptstadt Jerewan ist das eine, das in einem armenischen Dorf etwas anderes. Bjurakan hat viele Probleme mit der Bewässerung, die Menschen arbeiten schwer für ihr Auskommen. Gleichzeitig ist das Dorf Sitz des berühmten armenischen Observatoriums. Alles nicht ganz gewöhnlich. Eine Städterin betrachtet mit ihren Augen das Leben auf dem Dorf.
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Flüchtiger Blick auf das Leben der Bauern

von
Ina Tkatsch Journalistin, Moskau


Der Sommer in Armenien war in diesem Jahr heiß und trocken und hat die Kartoffel- und Getreideernte in weiten Teilen des Landes zerstört. Armenien war der erste GUS-Staat, der Privateigentum an Grund und Boden eingeführt hat. Nun sind die Bauern Privatbauern - und fühlen sich mit ihren Schwierigkeiten sehr allein gelassen.
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Von den ethnischen Minderheiten

von
Dr. Hranusch Charatjan, Ethnographin, Jerewan


Die Abwanderung hält an. Die Bürger verlassen Armenien vor allem aus wirtschaftlichen Gründen
 
Nach vorsichtiger Schätzung stellt die nichtarmenische Bevölkerung in Armenien noch einen Anteil von drei Prozent. Schon zu Sowjetzeiten war das Land eine der ethnisch homogensten Republiken, und der Anteil nationaler Minderheiten lag bei nur 6,7 Prozent. Eine der zahlenmäßig größten Bevölkerungsgruppen, die Aserbaidschaner, haben das Land aufgrund des Nagorny-Karabach-Konfliktes mit wenigen Ausnahmen verlassen. Insgesamt ist ein enorm hoher Abwanderungstrend aus Armenien zu beobachten. Dabei spielen natürlich vor allem wirtschaftliche Gründe eine Rolle. Heute stellen die geschätzten 40000 Jesiden die größte nationale Minderheit.
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Ein Kind der dunklen Zeit

von
Rosa Egisarjan, Schriftstellerin und Journalistin, Jerewan


Nach den Erfahrungen der "dunklen Zeit" glaubt Aram Ananjan an seine Generation
 
Wie lebt man heute als Student in Jerewan, welche Schwierigkeiten gibt es zu bewältigen, wie und wo verdient man Geld, um das Studium zu finanzieren. Rosa Egisarjan zeichnet das Porträt eines "ganz normalen" Studenten in der Hauptstadt.
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Großer Serviceteil


Armenien im Überblick von den Einreiseformalitäten bis hin zu den schönsten Zielen im Land. Mit vielen Tips, Adressen und Telefonnummern und allem, was man als Reisender sonst noch wissen muß.
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Zu Teil 2 des WOSTOK SPEZIALS - Armenien


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