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Das Festival "Kulturkreuzer Potjomkin" - Entwurzelte Kultur? [ Abstract ]
Plädoyer für einen strategischen Dialog EU-Rußland [ Volltext ]

Das Festival "Kulturkreuzer Potjomkin" - Entwurzelte Kultur?
von
Jelena Gurskaja, Moskau


Die Bezeichnungen "Rußland" und "russisch" klingen für einen russischen Gegenwartskünstler beinahe unanständig. Sie gehören in die gleiche Kategorie wie "feurige Morgenröte" und ähnlich abgedroschene Ausdrücke. Das Festival "Kulturkreuzer Potjomkin", das im November in Berlin stattfand, wollte mit abgestandenen Klischees aufräumen - "Wodka und Balalaika" auf der einen Seite mit "Haschisch und Bassgitarre" auf der anderen kontrastieren.
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Plädoyer für einen strategischen Dialog EU-Rußland

von
Dr. Jörg Bohse, Vorsitzender des Bundesverbandes der Deutschen West-Ost-Gesellschaften, Berlin


Als ich in einer Runde von Rußlandfreunden kürzlich den Vorschlag zu einer gemeinsamen deutsch-russischen Konferenz über aktuelle sicherheitspolitische Fragen machte, stieß zwar das Thema auf Zustimmung, nicht aber der vorgeschlagene Arbeitstitel "Rußland innerhalb einer europäischen Sicherheitsgemeinschaft". Man könne, so wurde vehement eingewandt, über europäische Sicherheitsfragen nicht in einer Weise reden, die vermuten lasse, daß man die Diskussion eurozentrisch, gar eurasisch, also unter Vernachlässigung der US-amerikanischen Dominanz oder gegen diese gerichtet zu führen gedenke. Die vorsichtige Titelkorrektur "Rußland innerhalb einer Sicherheitsgemeinschaft für Europa" fand ebenfalls keine Gnade. Immerhin hält eine solche Formulierung doch eine Mitwirkung an einem europäischen Sicherheitssystem für jedweden offen. Wie sich im weiteren Disput herausstellte, ging es aber nicht allein um die Besorgnis, den "gütigen transatlantischen Hegemon" durch Nichtbeachtung oder Kritik zu verprellen, sondern, wie der nicht weniger vehement artikulierte zweite Teil des Einspruchs erkennen ließ, auch um die, wie gemutmaßt wurde, realitätsferne, blauäugige Weltsicht, die sich im Terminus "Sicherheitsgemeinschaft" verrate.

Schlechte Argumente bekämpft man zuweilen wirksam, indem man ihre Entfaltung nicht behindert. Besser freilich wäre die Darlegung überzeugender Gegenargumente. Da wir in besagter Runde weder Zeit für die eine noch die andere Strategie hatten, seien hier einige Überlegungen skizziert, die die Wahl des Arbeitstitels nicht nur politologisch gerechtfertigt, sondern auch politisch geboten erscheinen lassen. Es ist ein Faktum, daß im gegenwärtigen Europa die von den USA geführte NATO argwöhnisch über ihr Entscheidungsmonopol über Krieg und Frieden wacht. Die USA schoben nach dem Ende des Kalten Krieges die Grenze ihrer Machtallianz weiter nach Osten. Eine friedenspolitische Notwendigkeit bestand dafür nicht. Daß diese Einsicht bei einem Teil der historisch traumatisierten Völker Mittelosteuropas dem Wunsch wich, in Zukunft in einem gemeinsamen Sicherheitsbündnis der NATO zu leben, mag (psychologisch) verständlich sein. Den westlichen Befürwortern der NATO-Osterweiterung kam dieser "legitime" Wunsch (Wolfgang Schäuble) freilich gerade recht, um in lang geübter Vasallentreue die offensive Weltmachtpolitik der Führungsmacht USA schönzureden.

Gerne räumt man den Amerikanern das historische Verdienst ein, die sowjetische Weltbeglückung eingedämmt zu haben. Inzwischen aber hat das Land, das fünfzig Jahre die erste und seit zehn Jahren die einzige global präsente Weltmacht ist, längst keine Vision einer besseren Welt mehr. In der der politischen Klasse eigenen Arroganz beginnt Amerika sich selbst und anderen zum Sicherheitsrisiko zu werden. Das ist kein ressentimentgeladener Antiamerikanismus. Ansichten wie diese stammen vielmehr aus der Feder amerikanischer Intellektueller. Die Methoden des Kosovokrieges antizipierend und den Politstil der amerikanischen Regierung karikierend, schrieb der Herausgeber der renommierten Zeitschrift Foreign Affairs Fareed Zakaria in einem Artikel, der die Überschrift "Our Hollow Hegemony" trug: "Probleme, die durch Bombardierung gelöst werden können, nehmen wir Amerikaner bereitwillig in Angriff. Probleme, die mit dieser Methode nicht zu bewältigen sind, ignorieren wir."

Auch Richard Rorty, Autor eines in Amerika einst sehr populären Buches mit dem Titel "Stolz auf unser Land", hat längst das Vertrauen zur politischen Klasse Amerikas verloren. Er sieht als politische Kraft, die zu einer moralischen Führungsrolle in der Welt fähig werden könnte, "ein selbstsicheres, auf sich selbst bauendes, stolzes und geeintes Europa" und erhofft sich gegen "den jämmerlichen Plan" eines "Kriegs der Sterne", mit dem ein konservativer Kongreß unter dem Druck der religiösen Rechten und einer starken Lobby von "marchands de mort" Amerika unverletzlich und ein für alle Mal zur Weltmacht ohne Rivalen machen möchte, einen Bund der Vernunft zwischen der EU und Putins Rußland. Diese Akteure müßten in der Lage sein, dem schwindelerregenden amerikanischen Zustand, "einzige Weltmacht zu sein", und der daraus resultierenden Möglichkeit machtpolitischer Willkür entgegenzutreten.

Weltmächte, die keinen Rivalen aufkommen lassen wollen, rufen gerade diese auf den Plan. Wer im Streben nach einer monopolaren Weltordnung andere an ihrer Entfaltung hindert, wird eben deren Widerstand hervorrufen und eine multipolare Welt auf Dauer nicht verhindern können.

Um Rußland als potentiellen Rivalen einzuschränken, stützen sich die USA auf die anderen ehemaligen Sowjetrepubliken, insbesondere auf die Ukraine, drangen wirtschaftlich in die zentralasiatische Erdölregion ein und begünstigen dort nichtrussische Interessen. Nicht zuletzt diese Einschränkungsversuche bewirkten eine Gegenbewegung. Rußland beginnt sich heute wieder als eurasische Großmacht zu begreifen, die weder weitere Territorialverluste noch politisch-moralische Demütigungen oder wirtschaftliche Diskriminierung hinzunehmen bereit ist.

So kompliziert im russischen Reformprozeß die Lösung wirtschaftlicher Fragen auch noch ist, so steinig der Weg zu stabilen demokratischen Strukturen sich auch darstellt, es wäre klug, rechtzeitig zu begreifen, daß Rußland in einer globalisierten Welt in nicht allzu ferner Zukunft ein attraktiver Partner für interessante Marktbeziehungen und für geistig-kulturellen Austausch ist.

Je früher zudem ein strategischer Dialog zwischen der EU und Rußland im Rahmen der neuen gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP) beginnt, unter desto besseren Bedingungen kann die innere Entwicklung in Rußland fortschreiten. Längst hat sich Rußland offiziell zu den Grundwerten freiheitlicher Gesellschaften bekannt. In dem Maße, wie sich diese auch real durchsetzen, steigen die Möglichkeiten für eine dauerhafte Sicherheitsgemeinschaft, in der vielfältige Austauschbeziehungen die Fähigkeit, sich in die Interessenlagen anderer hineinzudenken, fördern und eine friedliche Gemeinschaftsbildung ermöglichen. Der Titel "Rußland innerhalb einer europäischen Sicherheitsgemeinschaft?" ist - das Fragezeichen verrät es - nicht die Aufforderung zu einer Bestandsaufnahme, sondern eine programmatische Zielprojektion, von deren Ausgestaltung unser aller Zukunft abhängt.
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